Die "geheimnisvolle Bedeutung" von Bildern (oder eines Kunstobjekts allgemein) gilt es nicht zu entschlüsseln, weil es eine "geheimnisvolle Bedeutung" nicht gibt.
Solange der Künstler nicht selbst was dazu sagt (bei Filmen wird ja letztlich immer gesagt, was Sache ist), ist und bleibt sowas reine Interpretationssache.
Aha. Beispiel:
"Die Freiheit führt das Volk" von Eugène Delacroix
Diese Bild ist keine photorealistische Darstellung eines bestimmten Ereignisses. Das Bild wurde aus verschiedenen Bildelementen genau so zusammengefügt. um eine Aussage zu machen oder zumindest einen bestimmten Eindruck, ein Gefühl zu vermitteln.
Auf den ersten Blick (und auch im Titel) geht es um die Freiheit - personifiziert als Fahne tragende Frau. Aber wenn man sich die Bildkomposition anschaut, entdeckt man diverse gestalterische Linien. So bildet die Freiheit zusammen mit den beiden Leichen im Vordergrund ein Dreieck, das auffällig hell ist.
Und sie schaut zu den beiden Männern links der Bildmitte. Das Gewehr, die Schärpe des hinteren Mannes und ihre Köpfe bilden ein zweites Dreieck, das dem ersten entgegensteht.
Von der Kleidung her handelt es sich um einen Mann der höheren Gesellschaftsschicht und um einen Arbeiter.
Weitere Protagonisten sind der Junge rechts und die Frau, die von links zur Freiheit emporschaut.
Die beiden Männer schauen in Richtung des Jungen, der nur einen Schritt entfernt ist von dem Bildbereich, in dem die Leichen liegen.
Auch wenn verschiedene Personen das Bild unterschiedlich interpretieren werden, wird es doch in jeder Interpretation darum gehen,
- daß der Weg zur Freiheit über Leichen führt.
- daß die Jugend leichter für den Kampf der Revolution zu begeistern ist und diese gar nicht sieht
- daß die Erwachsenen beider Gesellschaftsschichten sorgenvoll auf die stürmische Jugend blicken
- daß Frauen eher romantisch zur Freiheit und Revolution aufschauen und die Leichen ebenfalls nicht sehen (wollen)
und diese Positionen sind mit Sicherheit vom Maler beabsichtigt, sonst hätte er sie nicht derart im Bild platziert.
Einzelheiten - wie zum Beispiel die blaue Socke, die so prominent und auffällig in der unteren Bildmitte erscheint, sind möglicherweise verschieden zu deuten. Vielleicht gibt es die Redewendung "über Leichen gehen" ja auch im Französischen und das ist somit nur eine weitere Variante der Aussage "Für die Freiheit (blau steht in der franz. Flagge für "Freiheit") muß man über Leichen gehen".
Und jeder Mensch interpretiert ein Bild anders. Da steckt kein Ziel dahinter. Kein Rätsel oder sonstiges. Der Betrachter soll sich einfach nur sein eigenes Bild machen.
Aha. Und das ist kein Ziel? Den Menschen zu Gedanken über ein Thema anregen zu wollen? Zu
eigenen Gedanken über das Thema?
Bilder, Filme, Bücher, Skulpturen usw...lassen den Betrachter rein passiv konsumieren.
Moment. Gerade hast du noch gesagt:
"jeder Mensch interpretiert ein Bild anders. [...] Der Betrachter soll sich einfach nur sein eigenes Bild machen."
"Interpretieren" und "sich ein eigenes Bild machen" sind aber
aktive Vorgänge ...
btw: der Schreiber von
Les Miserables wurde durch dieses Bild zu einer Figur in seinem Stück inspiriert (der Junge rechts)
Und Kunst ist völlig frei. Ich kann einen Film über was auch immer machen. Völlig egal was. Mit den heutigen technischen Mitteln ist die Freiheit grenzenlos. Genauso wie bei Büchern und Bildern. Bei Spielen ist das nicht möglich. Es gibt zwar zig unterschiedlichste Spiele, aber trotzdem kann man als Entwickler nicht alles machen, was man will (der moralische und gesetzliche Standpunkt ist hier mal außen vor gelassen). Weil die durch ihre Interaktivität Grenzen haben.
Hä?
Wie kann etwas, das
mehr Möglichkeiten bietet, Grenzen errichten?
Man würde Geschichten a'la Kafkas "Die Verwandlung" oder "Ein Landarzt" niemals in ein Spiel übertragen können. Weil es einfach nicht wirken würde.
oO - noch nie ein Spiel abseits des Mainstream Marktes gespielt?
Sicher: Ein Strategiespiel oder einen Ego Shooter wird man da nicht sinnvoll draus entwickeln können. Aber es gibt ja durchaus noch weitere Möglichkeiten, ein Spiel zu gestalten. Hier mal ein paar Beispiele
Save 75% on The Stanley Parable on Steam
Save 75% on Dear Esther: Landmark Edition on Steam
Save 20% on Her Story on Steam
Trauma on Steam
Save 75% on The Path on Steam
Save 51% on The Lady on Steam
Und die allerwenigsten Spiele wirken auf den Spieler in einer Art, wie Kunst wirkt.
Und die allerwenigsten Bücher wirken wie eine Geschichte von Kafka.
Weil sie den Spieler durch das Gameplay immer wieder aus dem raus ziehen würden,
... wenn das Gameplay dementsprechend gestaltet wäre.
So geil und spannend ich The Witcher 3, The Walking Dead o.ä. auch fand, aber keines dieser Spiele hat auf mich so gut gewirkt, wie ein gutes Buch oder die Szene aus Der Herr der Ringe, als Gandalf in den Minen von Moria mit dem Balrog zusammen in die Tiefe stürzte.
(als Knirps hab ich bei der Szene damals tatsächlich geheult
)
Und? so einen Moment gab's zB in
Beyond good & evil auch, als die Bösen das Waisenhaus überfallen und alle Kinder verschleppt hatten. Auch wenn im Prinzip Jade sich nur hingesetzt und rumgejammert hat, war das doch einer der eindrucksvollsten und emotionalsten Momente meiner Spiele Geschichte.
Oder die Enthüllungsszene in
Bioshock, die gerade dadurch so wirkte, weil es eine Szene war, die man
nicht beeinflussen konnte, die aber trotzdem aus der Standard Ego Perspektive ablief.
/edit: noch was vergessen:
bei Filmen wird ja letztlich immer gesagt, was Sache ist
Auch hier: In Mainstream Filmen vielleicht. Aber beispielsweise in
Lost Highway oder
Inland Empire von David Lynch erfährt man eben
nicht, was genau passiert ist.
Warum, erklärt sich in
Lost Highway allerdings schon:
"Ich erinnere mich an Dinge lieber auf meine Weise. Nicht unbedingt, wie sie passiert sind." sagt der Hauptcharakter dort an einer Stelle.
Aber gerade das macht den Reiz seiner Filme aus:
Mulholland Drive habe ich mir nach Kauf der DVD innerhalb von 2 Tagen 4-mal angesehen, weil ich das aufgegebene Rätsel, was denn da nun eigentlich passiert, wenigstens zum Großteil lösen wollte. Wenn der Film eine normale Erzählstruktur und ein normales Konzept hätte, wäre er strunzlangweilig.
Aber auch im Mainstream können manchmal Rätsel landen. Bzw Hinweise, die man auf den ersten Blick nicht sieht.
Beispiel:
The Matrix.
Dort wird gesagt, daß Neo schon der iirc
siebte Auserwählte sei. Wenn man mitzählt, wie oft Neo im Film aufwacht, kommt man auf dieselbe Zahl.
Auch interessant, daß Neo oft vor einer Wahl steht*
- mitzugehen (dem weißen Kaninchen zu folgen)
- pünktlich an seinem Arbeitplatz zu sein
- Im Gebäude zu bleiben oder außen herum zu klettern
- Im Auto zu bleiben oder die regenreiche Straße lang nach Hause zu gehen
...
und immer werden diese Wahlen umfangreich thematisiert. Und immer schaut er sich deutlich in beide Richtungen um, um zwischen den Möglichkeiten abzuwägen. Und es könnte durchaus interessant sein, zu verfolgen, für welche Seite er sich jeweils entscheidet.
Von bildhaften Parallelen und diversen Spiegelungen der Handlung und Bilder in der Trilogie mal ganz abgesehen. Aber das würde hier zu weit führen.
* fun fact: Die erste Szene mit Neo beinhaltet einen halben "Knock Knock" Witz:
Bildschirm: Knock, knock, Neo
Es klopft.
Neo: Wer ist da?
Choi: Choi.
die nicht im Film enthaltene "Pointe" wäre dann:
Neo: Choi who?
Choi: Choi-ce (englisch für Wahl/Entscheidung)