Krawall Gaming Network hat ein Interview mit Rainer Fromm - dem Autor des Beitrages - geführt:
Teil 1
In der ZDF-Sendung „Frontal 21“ lief am 9. November ein Beitrag mit dem lauschigen Titel „Videogemetzel im Kinderzimmer“. Falls ihr die Sendung verpasst haben solltet, könnt ihr euch hier einen Videostream des kompletten Beitrags ansehen. Zahlreiche Spieler fühlten sich angesichts der reißerisch aufbereiteten Sendung angegriffen und durch Referenzen an das Schulattentat von Erfurt erneut in eine Schublade gesteckt. Wir sprachen lange mit Rainer Fromm, dem Autor des Beitrags.
Krawall: Hallo, Herr Fromm. Erstmal vielen Dank, dass Sie sich die Zeit nehmen. Gehen wir gleich in Medias Res: Viele Spieler empfanden Ihren Beitrag als zu tendenziös. Schon die Anmoderation des Beitrags bringt Erfurt ins Spiel, redet davon, der Schütze habe in einem Computerspiel das Zielen geübt…
Rainer Fromm: Gut, die Anmoderation habe ich nicht geschrieben, dazu kann ich insofern nicht viel sagen. Im Film selbst kommt Erfurt vor, da die Änderungen der Jugendschutzgesetze nun mal auf diese Ereignisse zurückgehen. Ich vertrete keinesfalls die These, dass Spiele eine solche Tat auslösen. Menschen die Amoklaufen versagen im realen Leben und nicht im Spiel. Nur ist es ja in der Tat so, dass man in Fällen wie zum Beispiel Littleton klare Parallelen zwischen Tatablauf und Spielhandlung finden konnte.
Krawall: Gut, aber das bezieht sich doch bestenfalls auf die Ausgestaltung der Tat.
Fromm: Ja, aber diese Ausgestaltung ist doch gerade das was am Ende vielleich zu einem bedeutend brutaleren Ablauf der Tat führt. Nehmen wir das konkrete Beispiel des Littleton-Amoklaufs. Da gehen die Täter durch die Schule, bewegen sich wie in Spielen durch Räume und setzten zielgerichtet Schüsse.
Krawall: Also, wenn wir ehrlich sind, erscheint uns das ein wenig zu stark reduziert. Durch Räume gehen und zielgerichtet schießen, dass erscheint uns nicht gerade als etwas, dass man aus einem Spiel haben muss. Das beschränkt sich doch eher darauf, ob der Täter dabei einen schwarzen Trenchcoat trägt.
Fromm: Nehmen wir doch einmal „Doom“: Dieses „Ich gehe von Raum zu Raum und schieße auf alles was sich bewegt“, das ist doch etwas, dass im Spiel auch zelebriert wird. Die ganze Rahmenhandlung hat bei dem Titel für mich nur Alibifunktion. Dass irgendjemand spielt um sich diese Emails von inzwischen zu Zombies mutierten Wissenschaftlern anzusehen, glaube ich nicht wirklich. Natürlich wären die Täter auch ohne das Spiel zu Mördern geworden, aber ebenso fest steht für mich, dass hier Virtualität und Realität ineinander über gehen.
Wobei es da ein intermediales Zusammenwirken gibt. Es geht also nicht nur um brutale Spiele. Filme und Musik spielen ebenso eine Rolle.
Krawall: Jetzt frage ich mich: Wenn ich im Film die Bilder aus Erfurt sehe und höre der Täter hätte unter anderem auch brutale Spiele gespielt, hinterlässt das nicht schon den Eindruck, dass es auch ursächlich gewesen sei?
Fromm: Da ist die Frage, ist das wirklich im Text gewesen oder haben Sie das hinterher so interpretiert, weil Sie die Bilder gesehen haben? Der Text im Film sagt absolut nichts über die Wirkung von Computerspielen aus. Inhalt des Filmes war das auch gar nicht, sondern er drehte sich um konkrete Vollzugsprobleme im Rahmen der Umsetzung der Jugendschutzregelungen.
Krawall: Wie kommt es denn Ihrer Meinung nach dazu, dass sich so viele Spieler von dem Beitrag angegriffen fühlten?
Fromm: Es ist meiner Meinung nach so, dass sich hier einfach gewisse Reaktionsmuster gebildet haben, die beinahe automatisch „einrasten“. Wenn die Eltern auf den Bildschirm schauen, dann sehen sie erstmal nur Blutfontänen wo die Spieler vielleicht in erster Linie Wettkampf sehen. Wenn ich dann im Film etwas dokumentiere, dann fühlen sich die Eltern in ihren Vorurteilen bestätigt und die Spieler in eine Schublade gesteckt, auch wenn das der Film an sich alles gar nicht hergibt. Das habe ich im Chat im Anschluss an die Sendung auch sehr deutlich beobachten können. Wobei ich auch sagen muss: Wenn ich den Chat so lese, dann sehe ich da einige Personen die, angesprochen auf ihr Spielehobby eine Überreaktion an den Tag legen, wie ich es sonst nur von Sektenmitgliedern oder Mitgliedern anderer, destruktiver Kulte kenne. Diese Menschen sind einer rationalen Diskussion nicht mehr zugänglich. Für einige – und das bitte ich zu betonen, für einige, wenige – in diesem Chat scheinen Spiele in ihrem Leben eine Funktion zu haben, die ich als psychisch wie auch medizinisch besorgniserregend bezeichnen würde.
Krawall: Das manch ein junger Chat-Teilnehmer mit seinen Aussagen weder sich selbst noch der Spieler-Community einen Gefallen tut ist nichts wirklich Neues. Okay, dann kommen wir doch mal auf das eigentliche Filmthema zu sprechen. Sie sagen ja, die Jugendschutzbehörden würden ihre Verantwortung auf den Einzelhandel abwälzen. Warum soll bei Spielen nicht funktionieren, was bei Filmen und Alkohol längst Usus ist?
Fromm: Zunächst finde ich es nicht sinnvoll hier die Medien Film und Spiel gegeneinander auszuspielen. Funktioniert der Schutz bei Filmen besser? Ich kann es nicht sagen, denn das haben wir nicht getestet. Bei Spielen aber haben wir es getestet und es funktioniert ganz und gar nicht. Wie auch? Die Verkäuferin im Handel, die gestern noch Socken einsortiert hat, soll heute anhand dieses mitunter keinen Zentimeter großen Stickers entscheiden: Ist das Spiel ab 12, ab 16 oder ab 18?
Krawall: Es geht ja nicht darum den Schwarzen Peter zu den Filmen abzuschieben. Wenn das System der Kennzeichnung bei Filmen aber funktioniert wäre das ja ein klares Zeichen, dass das System an sich richtig ist, aber im Falle der USK-Kennzeichen eben noch wirkungsvoll umgesetzt werden muss.
Fromm: Da müsste ich Ihnen jetzt Recht geben. Ich weiß aber nun mal nicht, ob das bei Filmen so ist da wir nur bei Spielen Tests durchgeführt haben. Der Punkt ist aber doch folgender: Der Bevölkerung wurde nach Erfurt durch die neuen Gesetze eine Verschärfung des Jugendschutzes suggeriert, die es nicht gibt. Stattdessen stehen nun Titel ab 18 in den Regalen und werden frei beworben, deren Vorgänger noch indiziert wurden. Dabei sind diese Spiele mitunter sogar noch brutaler, als die indizierten Titel.
Krawall: Gut, aber vorher gab es nur die Wahl zwischen „frei verfügbar“ und „indiziert“. Jetzt steht mit den Alterskennzeichen ein feiner abgestuftes System zur Verfügung und wo man vorher sagte „Bevor es jeder Pimpf kaufen kann, indizieren wir besser“ steht heute „ab 18“ drauf.
Fromm: Aber es kann doch nicht sein, dass ein Spiel wie „Doom 3“, das grafisch wirklich noch deutlich härter ist, als der erste Teil, nicht indiziert wird. Für mich war dieses Spiel wirklich eine Provokation. Ich halte das Spiel für absolut hochwertig, ich finde die Kulisse gestalterisch ausgezeichnet, aber mir ist nicht einsichtig, warum das Spiel eine solch widerliche Form von Splattereffekten braucht. Dabei schützt das neue Gesetz das Spiel im Grunde sogar noch, denn wenn ein Spiel von der USK als „jugendbeeinträchtigend“ eingestuft und mit einer Alterskennzeichnung versehen wird, ist es nicht als „jugendgefährdend“ zu sehen und fortan vor der Indizierung sicher.
Krawall: Sie fanden also das alte Gesetz im Grunde wirkungsvoller?
Fromm: Ich meine, man muss sich mal ansehen, was da geschehen ist: Als Reaktion auf eine Bluttat wird gesagt: „Ok, wir verschärfen unsere Gesetzgebung“. Aber was passiert ist, dass die Hersteller von Computerspielen ihren ehemals indizierten Produkten Fortsetzungen spendieren, die brutaler sind als die Originale nur mit dem Unterschied, dass sie jetzt frei verkauft und beworben werden. Es zeigt sich auch, dass hier die Botschaft, der Konsens zu sagen „wir wollen weniger Gewalt in den Spielen“ bei den Herstellern nicht angekommen ist. Da wirkt dann die Indizierung. Die trifft ja nicht die Jugendlichen sondern in erster Linie die Hersteller. Wenn die in ihren Spielen meinen, gewisse moralische Mindeststandards unterbieten zu müssen, bewirkt die Indizierung dass sie Schwierigkeiten haben diese Produkte zu verkaufen. Hier kann nicht die USK dann auf einmal auftreten und sagen: „Das ist Sache der Verkäufer“.