pacsun am 23.10.2005 21:25 schrieb:
Ok stimme ich dir zu, abh. Aber was willst du machen? Die Globalisierung zurückdrehen? Dich von der Aussenwelt abschotten?
Wow, dass ich das noch erleben darf.
Nun ... ich habe lange über dieses Problem nachgedacht, ohne wirklich bahnbrechende Strategien gefunden zu haben. Das ist auch nicht verwunderlich, schließlich stehen alle Volkswirtschaften derzeit mit dem Rücken zur Wand - und das schlimmste: Sie schwächen sich auch noch gegenseitig, wo es nur geht. Gäbe es eine geniale Lösung, würde sie längst jemand umsetzen.
Nichtsdestotrotz habe ich zumindest einige Eckpfeiler für mich selbst herausgefunden, weshalb ich sie auch so vehement agitiere. Zum einen ist es falsch, vor dem Globalkapital einfach die Beine breit zu machen - das macht alles nur schlimmer, da es Wechselwirkungen zwischen den Volkswirtschaften, zum Nachteil aller, hat. Wenn bei uns die Löhne sinken, schwächt das die Lohnforderungen der Koreaner - und umgekehrt. Also müssen wir hart bleiben.
Ich sehe ein, dass eine bewahrende Strategie den Anruch von Tatenlosigkeit hat. Aber alles andere wäre das größere Übel.
Wenn man sich jedoch einmal entschieden hat, bei all dem gegenseitigen Unterbieten und Zurückmarschieren nicht mitzumachen, muss man sich selbst nur klar machen, was dies bedeutet und was nicht. Trotz allen Gejammers der Wirtschaftsverbände geht es faktisch Deutschland nicht schlecht. Die Profite sind gut, die Vermögen steigen, und die Wirtschaft hat sogar Wachstum. Das kann so bleiben, wir müssen nicht 5% Wachstum haben, wir müssen nur am Leben bleiben.
Das entscheidende Stichwort lautet Währungsumlauf. Wer die Währung in Bewegung hält, der hält eine Wirtschaft am Laufen. Das Absaugen von Kapital, Ausgabenreduzierung öffentlicher Haushalte, Konzentration von Geld in wenigen Händen, Angstparen der Konsumenten ... das sind genau die falschen Ansatzpunkte. Wenn die Deutschen 4 Billionen Euro besitzen und diese Zahl ständig steigt (was so ist), dann ist es nicht erklärbar, warum der Staat immer weniger davon sieht und immer mehr Menschen ihren Konsum einschränken. Haltet diese Geld im Umlauf!
Das ist genau das, was die skandinavischen Länder trotz aller Reformen nie vergessen: Das Geld im Umlauf zu halten. Sie haben eine hohe Abgabenlast für reiche Einkommen und Vermögen. Sie verteilen kräftig um. Gleichzeitig haben sie ihren Staat von veralteten Werkzeugen befreit und die soziale Grundsicherung auf stabile Füße gestellt. Das ist der richtige Weg, um die Zeit der globalen Angleichung der Lebensbedingungen auf hohem Niveau durchzuhalten. Konsumenten mit Vertrauen in ihre Existenzsicherheit, die kräftig Geld ausgeben, wenn sie reichlich davon erhalten - und Unternehmer, die sich auf feste Regeln verlassen können, auf Stabilität, auf Absatz, auf Minimalbürokratie ... und die im Gegensatz dazu einen angemessenen Beitrag zur Erhaltung des Staates liefern.
Daher ist alles gut, was dem Arbeitnehmer und auch dem Arbeitslosen mehr Geld in der Tasche lässt. Und alles, was den Profit von Konzernen erhöht, ist schlecht. Deshalb ist geringerer Kündigungsschutz schlecht, und Ausbildungsplatzabgabe gut. Deshalb muss der Spitzensteuersatz nach oben und der ALG2-Betrag ebenfalls.
Vor allem aber ist es schlecht, sich selbst und allen anderen einzureden, uns ginge es schlecht, wir könnten uns irgendwas nicht mehr leisten (wie denn, wenn die Vermögen nicht sinken??) oder wir müssten bei irgendeinem Wettbewerb mitmachen, der uns tötet. Vielmehr müssen wir erreichen, Europa in Gänze zu einem Bollwerk zu machen, statt auch noch den innereuropäischen Steuer- und Sozialdumpingwettbewerb zu fördern. Das ist das letzte, was wir brauchen.