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aph
Gast
pacsun am 24.10.2005 17:18 schrieb:Da unterscheiden wir uns wohl: Ich bin eben der Ansicht, man muss sich dem Wettbewerb stellen. Das Problem, dass ich bei deinen Umverteilungsvorschlägen sehe, ist das dadurch die Arbeitslosigkeit weiter steigt und die Unternehmen inkl. Kapital davonlaufen, dass kann ich dir jetzt schon prophezeihen.
Ich bin nicht unbedingt der Ansicht, dass sparen die Wirtschaft schädigt: Das Geld liegt ja nicht zuhause rum, sondern wird auf die Bank gelegt und woanders investiert. Damit kommt es wieder in den Wirtschaftskreislauf und das Problem ist gelöst.
Genau hier liegt der aktuelle Trugschluss. Angebotsorientierte Politik, wie von dir beschrieben, kann in bestimmten wirtschaftlichen Situationen sinnvoll sein. Zum Beispiel, wenn zu wenig Kapital auf den Märkten ist oder wenn Arbeit unerledigt bleibt. Im Moment ist es aber genau der falsche Weg. Nicht umsonst streiten sich seit nunmehr 80 Jahren Keynesianer und ihre Gegner, welches der richtige Weg ist. Die Antwort ist sehr einfach: Je nachdem.
Im Moment gibt es auf den Finanzweltmärkten eine extreme Kapitalschwemme. Nur um sich die Größenordnungen klar zu machen: Während die Deutschen wie gesagt 4 Billionen Euro besitzen, fließen täglich (!) 2 Billionen US-$ um die Erde beim Handel von Aktien, Optionen u.ä.. Die Übersättigung des Kapitalmarktes zeigt sich auch in den immer wieder kehrenden Spekulationsblasen, zur Zeit der weltweite Immobilienmarkt. In einigen Metropolen wie New York sind die Preise ohne jeden wirtschaftlichen Bezug um 200% gestiegen. Deutschland blieb bisher davon verschont, aber das ist jetzt auch vorbei, wie die vielen Wohnungsverkäufe zeigen. Vergleiche hierzu auch: Quelle
Ich zitiere: Der Immobilienexperte führte die Investitionsfreude ausländischer Immobiliengesellschaften auf den "weltweiten Anlagenotstand für Rendite suchendes Kapital" zurück.
Das mit den 2 Billionen könnt ihr übrigens hier nachlesen. Ein interessantes Interview übrigens, wie auch der Mann selbst eine gute Abwechslung zu Stefs sonstiger Lektüre wäre.
Die Realität straft jene Lügen, die behaupten, dieses Kapital würde Arbeitsplätze schaffen. So wie auch die angebotsorientierte Politik in der Bundesrepublik der letzten 15 Jahre bekanntlich keine Erfolge gebracht hat. Da diese deutlichen Ergebnisse aber trotzdem einige nicht überzeugen, sondern nur "mehr von der Medizin" schreiben lassen, erkläre ich hier gern, wieso sie nicht hilft.
Das Problem an dem vielen investitionswilligen Geld ist, dass es nicht nur investieren, sondern sich in erster Linie kräftig vermehren will. Unter Renditen von 10-20% geht nix. Was passiert, wenn eine Volkswirtschaft in so einer Situation die Löhne senkt, Arbeitszeit verlängert oder Kündigungen erleichtert? Es ist klar, dass das damit freigesetzte Kapital mittelständischer Unternehmen Peanuts gegenüber den 2 Billionen Dollar Transfergeld sind, die täglich munter nach Investitionsmöglichkeiten suchen. Aber jenes Kapital erhält in so einem Moment eine Möglichkeit, Traumrenditen aus einer Volkswirtschaft abzusaugen. Wie das funktioniert, kann man an allen jüngeren Beispielen der Aktivität von Hedgefonds oder Private-Equity-Groups studieren ... sei es IWKA, Grohe oder - ganz aktuell, leider - der Berliner Verlag.
Diese Anleger können kurzfristige hohe Renditen erzielen, indem sie geschwächte Firmen aufkaufen, Leute rausschmeißen oder Arbeitsplätze nach China verlagern (siehe Grohe), Unternehmensteile veräußern, das Unternehmen Schulden aufnehmen lassen (siehe IWKA), die Löhne senken, etc.. Das sind allesamt kurzfristige Effekte, aber alle Anleger wissen, dass der Aktienkurs des betreffenden Unternehmens dadurch kurzfristig kräftig steigen wird. Analog zur Immobilienblase stürzen sich nämlich zahlreiche weitere Anleger auf das mit so "guten" Nachrichten versehene Unternehmen in der Hoffnung, was vom Run abzubekommen. Deshalb benötigen diese Fonds und Gruppen auch nie die Aktienmehrheit für ihre Entscheidungen, die eine offizielle feindliche Übernahme einklagbar machen würden. Es finden sich stets (wie bei der Deutschen Börse) ganz schnell unabgesprochen weitere Gruppen mit denselben Interessen, während sich die normalen Aktionäre gar nicht für die Vorgänge interessieren oder sich über den plötzlichen Aktienkursanstieg freuen.
Was ist also die Folge davon: 1. Ein Absinken der Kaufkraft und des Konsums, mithin der Absatzmöglichkeiten für Unternehmen in der betreffenden Region. 2. Das Abwandern freigesetzten Kapitals in den globalen, eh schon übersättigten Finanzmarkt und damit eine Beschleunigung der Spekulationsblasen.
Dass das keine Arbeitsplätze schafft, sondern vernichtet, dürfte einleuchten. Wann immer sich ausländische Investoren für ein Unternehmen interessieren, sollte das jedem ein Warnsignal sein. Einen Schutz dagegen gibt es nur, wenn man dem hilflos suchenden Kapital gar nicht erst die Möglichkeit gibt, in Deutschland durch kurzfristige Aktionen hohe Renditen zu erzielen. Vielmehr müssen die langfristig agierenden Familienunternehmen und mittelständischen Betriebe gestärkt werden.
Für dieses Ziel sind mir jegliche Vorschläge willkommen.
Und wer das jetzt alles verstanden hat, kriegt von mir ein Bonbon. Wer nicht mindestens versteht, was ich mit all dem sagen will, braucht von mir keine Berücksichtigung seiner neoliberalen Vorschläge mehr erwarten.