[l]am 05.03.03 um 17:45 schrieb Markus_Wollny:[/l]
[l]im Jahre 1966 schrieb Erich Kästner:[/l]
Wenn's schon nicht gelingt, die tatsächlichen Probleme zu lösen, die Arbeitslosigkeit, die Flüchtlingsfrage, den Lastenausgleich, das Wohnungsbauprogramm, den Heimkehrerkomplex, die Steuerreform, dann löst man geschwind ein Scheinproblem. Das geht wie geschmiert. Hokuspokus - endlich ein Gesetz. Endlich ist die Jugend gerettet! Endlich können sich die armen Kleinen am Kiosk keine Aktfotos mehr kaufen und bringen das Geld zur Sparkasse! Dadurch werden die Sparkassen flüssig, können Baukredite geben, Arbeiter werden eingestellt, Flüchtlinge finden menschenwürdige Unterkünfte, und die Heimkehrer werden Kassierer bei der Sparkasse. Ja?
Damals ging's um Tarzan-Heftchen und ähnliches - die wurden im Tausch 20:1 gegen "erbaulichen Lesestoff" umgetauscht und anschließend in Kiesgruben oder dergleichen versenkt, sog. "Schmökergräber". Die deutsche Variante des Jugendschutzes hat ihre Wurzeln übrigens im wilheminischen Kaiserreich und der nachfolgenden Zeit der zunehmenden Radikalisierung in der Weimarer Republik - damals wie heute ging es "gegen Schmutz und Schund", vor dem man die Jugend bewahren zu müssen glaubte. Gebracht hat's, wie man weiss, nichts - durch Denkverbote und leichtere Gleichschaltung der Jugend war die Sache mit Sicherheit eher kontraproduktiv.
Bis heute bleiben die Kreuzritter gegen Schmutz und Schund (Glogauer&Co.) den Beweis schuldig, dass solcherlei Medienkonsum überhaupt einen negative Effekt auf die Entwicklung von Jugendlichen hat. Stattdessen wurde der Jugendschutz in seiner gesamten Geschichte immer wieder zum "Erwachsenenschutz" missbraucht - in der DDR wurden Westmedien verboten, in der BRD versuchte die BPS in ihrer Anfangszeit vor allem, die "vom BGH getroffene, christlich-katholische Definition von 'Sittengesetz' auf das alltägliche Lektüre- und Sexualverhalten zu übertragen", "indem sie Tabuzonen absteckte und Sanktionen verhängte." (Zitat nach Achim Barsch)
Dies in Verbindung mit der demnächst in Kraft tretenden völlig praxisfernen Gesetzesnovelle (da kann so mancher Schwamm noch viel lernen), lässt arge Zweifel an der Zweckmäßigkeit des deutschen Jugendschutzes aufkommen. Ich bin durchaus der Ansicht, dass Jugendschutz durchaus notwendig ist - sofern er mit einer Erziehung zum medienkompetenten Staatsbürger gepaart wird. Und ich bin ebenfalls davon überzeugt, dass die Praxis der Indizierung bzw. Beschlagnahme in bestimmten krassen Fällen nicht verkehrt ist. Die Rechtspraxis jedoch, die auch Berichterstattung über solche Medien untersagt, kommt einer nachgerade stalinistisch anmutenden Zensur auch für die Erwachsenen gleich, wenn vielleicht nicht in der Intention, dann doch zumindest in der Praxis. Wenn man Jugend jedoch pauschal vor allen äußeren Einflüssen zu "behüten" versucht, darf man sich wiederum nicht wundern, dass der Schock der Adoleszenz von einigen nicht sonderlich gut verkraftet wird - Erziehung und Kompetenzerwerb statt Zensur wäre meiner Meinung nach der bessere Weg.
Grüße,
Markus