In den letzten Jahren habe ich eine ganze Menge Interviews gegeben.
Da waren sehr viele bei, in denen ich mich korrekt wiedergegeben gefühlt habe.
Und es waren welche dabei, in denen Quatsch stand, bei denen Fakten aus meiner Vita verkehrt wieder gegeben wurden.
Vom falsch geschriebenen Nachnamen (Ruhte/Rute/Grothe), über meine Arbeitsweise ("ich zeichne täglich zwei bis drei Cartoons") bis zur Zuordnung von Figuren, an deren Entwicklung ich niemals beteiligt gewesen bin ("Er ist der Erfinder von Alfred E. Neumann").
Wenn man mich falsch zitiert und Dinge schreibt, die ich so niemals gesagt habe, ist das schlimmste was passieren kann, dass ich genervt mit den Augen rolle.
Oder dass einer meiner Fans denkt "Sowas hat der Ruthe gesagt? Enttäuschend. Den entlike ich bei Facebook."
Schade, keine Frage. Aber ein falsches Zitat von einem Cartoonisten ist noch kein Weltuntergang.
Ich bin schließlich nur ein Typ, der Witzbilder malt. Kein Polizeipräsident. Oder ein Politiker, der eine ganze Nation repräsentiert.
Gefährlicher wird es, wenn über Ereignisse von großer Relevanz für die Allgemeinheit Unwahrheiten geschrieben oder entscheidende Fakten nicht weiter gegeben werden.
Ich kann verstehen, dass der eine oder andere momentan von "den Medien" enttäuscht ist.
Nicht wenige Leute unterstellen "den Medien" ja sogar, sie seien Parteien-gesteuert.
Oder würden Informationen bewusst zurück halten.
Was immer wieder vergessen wird: die Zeitungen, das Fernsehen, die Radiosender - das sind keine seelenlosen Informationskonzerne, geleitet von einer Art "HAL 9000". Hinter all diesen Medien sitzen viele tausende einzelne Frauen und Männer. Individuelle Persönlichkeiten, die mal einen guten, mal einen schlechten Tag haben. Private Probleme und Sorgen mit sich rumschleppen, persönliche Ansichten haben. Talentierte und weniger talentierte Journalisten sind. Und eben auch mal Fehler machen. Natürlich schreiben die auch mal Dinge, die falsch sind. Wie sollte sich das zu 100% vermeiden lassen? Völlig unmöglich, das sind alles nur Menschen.
Jeder hat schon mal erlebt, dass ein guter Freund eine Unwahrheit über einen erzählt hat. Absichtlich oder unabsichtlich. Und viele sind sogar von dem Menschen, den sie lieben, mit dem sie vielleicht sogar jahrelang verheiratet sind, vorsätzlich angelogen worden. Uns allen ist bewusst, dass wir im Beruf, in der Beziehung und in der Familie jeden Tag aufs neue Quatsch erzählt bekommen, der durch das stille-Post-Prinzip zu noch größerem Hirndurchfall wird.
Ich frage mich: Wenn wir das alle wissen, wie können wir dann erwarten, dass jeder Artikel, den wir in einer Zeitung lesen, jeder Beitrag im Radio und jede Ausgabe der Tagesschau immer ausschließlich gefüllt ist mit 100% korrekt recherchierten Fakten?
"Die Wahrheit" gibt es doch gar nicht. Wie soll das möglich sein? Ich hab doch selbst schon oft gedacht, ich erzähle jemandem gerade die Wahrheit. Und dann stelle ich einige Zeit später fest, dass ich eine Sache aus dem Zusammenhang gerissen oder vergessen hatte. Oder dass mir eine Information fehlte, die ich erst später erfahren habe. Wie oft hat man schon zu einem Kollegen, dem Partner oder einem Kumpel gesagt: "Ich bin mir absolut sicher", weil das in dem Augenblick auch stimmte, nur um bald darauf zu merken, dass man sich geirrt hat. Mir ist das jedenfalls schon oft passiert (fragt meine Frau).
"Die Wahrheit" ist auch zeitlich begrenzt. Was jetzt gerade stimmt, kann sich in wenigen Minuten durch die Veränderung der Umstände um 180 Grad drehen. Und immer, zumindest zum großen Teil, ist Wahrheit ja auch eine Frage des persönlichen Blickwinkels.
Ich habe mehrere Jahre bei einer großen Regionalzeitung gearbeitet. Ich weiß daher, wie viel Verantwortung und Arbeit es ist, Leser mit aktuellen Nachrichten zu versorgen. Und das war in den 90ern. Damals wurden manchmal sogar die Druckmaschinen angehalten, weil man noch auf eine aktuelle Information wartete, um zu einem Attentat oder eine sonstigen Situation möglichst viele Details und Informationen liefern zu können. Diesen Luxus haben die Zeitungen heute gar nicht mehr. Diese Zeit haben sie nicht mehr - und das liegt an uns selbst!
Jeder will immer alles genau wissen. Wenn wir eine Information nicht sofort bekommen, wird als Grund dafür direkt eine Verschwörung oder eine Bevormundung vermutet. Das besorgen von Informationen bedarf aber guter Kontakte, die man nicht immer sofort erreicht. Allwissenheit bekommt man nicht auf Knopfdruck. Verlässliche Informationen kosten Zeit!
Nun ist es eine Sache, sich darüber aufzuregen, dass die Tagesschau schon mal falsche oder einseitig recherchierte Informationen verbreitet hat.
Man darf und muss das scheiße finden. Man sollte sich sogar darüber beschweren!
Aber wie kann man dann gleichzeitig ernsthaft glauben, dass die rassistischen "Informationen", die eine fake-"Anonymus"-Seite liefert, alle wahr sind? Oder dass die Hobby-Blogger von netzfrauen.de besser recherchierte Informationen besitzen würde als eine Nachrichten-Sendung im öffentlich rechtlichen Fernsehen? Aus welchem Grund sollten deren Inhalte richtiger und besser sein als das, was das seit Jahrzehnten etablierte heute-journal berichtet? Weil diese Journalismus-Amateure danach googlen? Weil sie ein Handyvideo auf Youtube entdeckt haben? Weil es einem selbst gerade gut in den Kram passt?
Worauf ich hinaus möchte: "die Medien" sind nicht das Problem. Es ist 2016 - heute ist JEDER "Die Medien"
Wir selbst haben es in der Hand, ob sich eventueller Schwachsinn rasend schnell wie ein lustiges Katzenvideo weiter verbreitet oder nicht.
Wir können mit entscheiden, besonnen zu bleiben und erstmal noch abzuwarten, bis man zu einem brisanten Thema neuere oder offensichtlich besser recherchierte Fakten findet.
Es wäre super, wenn wir alle zwei mal überlegen würden, ob wir ein Video, das angeblich die Übergriffe der Silvesternacht in Köln zeigt, direkt mit unseren gesamten Facebook-Freunden teilen. Wenn wir nämlich drei Tage später erfahren, dass es sich in Wirklichkeit um einen aus dem Zusammenhang gerissenen vier Jahre alten Mitschnitt aus Kairo handelt, sind wir nicht besser gewesen als der Online-Redakteur, der 30 Minuten zu früh berichtet hat, weil er der erste sein wollte, der die spektakuläre Schlagzeile in die DSL-Leitung ballert. Vielleicht ist dann aber bereits ein Mensch ums Leben gekommen, weil das Teilen des Fake-Videos einen angesoffenen Bürgerwehr-Sherrif dazu gebracht hat, Selbstjustiz an einem unschuldigen Austausch-Schüler zu üben.
Die Medien, das sind nicht "die da oben". Das sind wir alle. Ich freue mich über jeden, der zwei mal überlegt, bevor er beim angeblichen Phantombild eines Kindermörders oder einem obskuren wackeligen Handyvideo direkt auf "Teilen" klickt.
Okay. Außer, es sind Katzen drin. „smile“-Emoticon
Vielen Dank für eure Aufmerksamkeit
Ralph Ruthe (Erfinder von Alfred E. Neumann)