Kann das Traditions-Geseier auch nicht mehr hören. Wenn's danach ginge würden der BFC Germania, der Karlsruher FV und Holstein Kiel immer noch um die Champions-League-Plätze spielen. Köln ist doch ein gutes Beispiel. Relativ junger Verein eigentlich, erst nach dem 2. Weltkrieg gegründet bzw. zusammenfusioniert. Würde mir als Schalker aber nie einfallen, denen die Tradition abzusprechen. Nein, der Fußball ist seit bald 150 Jahren im stetigen Wandel, aber erst seit 10-15 Jahren maßen sich einige Fans an, aufstrebende Fußballvereine als irgendwelche Hirngespinste von Sponsoren abzutun.
Man mag von Hoffenheim oder RB Leipzig halten was man will. Oder meinetwegen auch von Leverkusen (ein Verein, der übrigens 110 Jahre alt ist) oder Wolfsburg (nächstes Jahr 70 Lenzen alt, Gründungsmitglied der zweiten Bundesliga). Ich finde auch es gibt sympathischere Vereine, Freiburg beispielsweise - aber eben auch unsympathischere. Und jetzt mal ganz ehrlich: Glaubt jemand ernsthaft, die "verdrängen" irgendeinen armen Traditionsverein, der dagegen nix machen kann? Aachen, Duisburg, Essen, Wattenscheid, Waldhof Mannheim und wie sie alle heißen - und aktuell wohl leider auch der HSV - sind nicht von bösen, neuen Klubs verdrängt worden, sondern an ihrer eigenen Unfähigkeit gescheitert. Einhergehend mit immer größeren Sponsorengeldern, Transfersummen, Marketing-Ausgaben und -Einnahmen haben es die meisten dieser Vereine nicht geschafft, den typischen Küngel der 60er, 70er und teilweise auch 80er, das Vetterngewirtschafte und "Passt schon so"-Gehabe aus ihren Vorständen zu verdrängen.
Die Alemannia ist nicht pleite gegangen, weil Hoffenheim aufgestiegen ist. Homburg, Waldhof, Uerdingen, Wattenscheid und die Stuttgarter Kickers haben keine zwanzigjährige Talfahrt angetreten, weil Leverkusen in den 80ern stärker wurde. Ulm wurde nicht von Wolfsburg in die vierte oder fünfte Liga gedrängt. Fortuna Köln (übrigens seit den 70ern ein Mäzen-Verein - interessierte in der zweiten Liga damals komischerweise niemanden) ist nicht aus der Zweitklassigkeit in den Konkurs getrudelt, weil zeitgleich Hoffenheim aus der Oberliga aufstieg. Blau-Weiß 90 Berlin gibt's nicht mal mehr. Das alles ist passiert, weil korrupte und/oder unfähige Idioten über Millionenbeträge entscheiden durften.
Und was auch gern vergessen wird: Es gibt doch mehr als genug Gegenbeispiele dafür, dass Wolfsburg, Hoffenheim und Co. nicht permanent irgendwelche Traditionsvereine verdrängen. Mainz in der Euro League, Gladbach in der CL-Quali nach mehreren Abstiegen, Hannover mehrfach Euro League, Freiburg fast CL, Frankfurt als Aufsteiger Euro League, Lautern als Aufsteiger Meister, Augsburg diese Saison fast/vielleicht Euro League. Oder in kleinerem Rahmen: Sandhausen, Darmstadt, Jahn Regensburg - alle mit kleinem Etat in die zweite Liga aufgestiegen bzw. in die Relegation gekommen, Union und Aue halten sich dort seit Jahren, Paderborn ist bald vielleicht sogar Bundesligist, obwohl sie kaum finanzielle Mittel haben. Die wirtschaften halt schlau, das ist alles ... Schalke war Anfang der 90er auch noch Zweitligist. Da gabs Wolfsburg auch schon und Leverkusen sowieso.
Seit mittlerweile rund zehn Jahren höre ich jede Saison "Wolfsburg wird kurz- bis mittelfristig ein dauerhafter CL- und Meisterkandidat". Und wie oft war das nu der Fall? 1x. Nach dieser Saison vielleicht 2x. Nach vier Jahren grauem Mittelfeld. Und Hoffenheim? Hat noch nie Euro League gespielt. In jetzt dann sechs Jahren Bundesliga. WO verdrängen die irgendwen?
Das einzige was man den Vereinen vorwerfen kann, ist, dass sie wirklich noch keine großartige Fanbasis aufbauen konnten und entsprechend unattraktiver sind. Bei Hoffenheim sogar verständlich nach dem rasanten Aufstieg, bei Leverkusen und Wolfsburg schon eher weniger. Wobei Bayer natürlich den FC vor der Tür hat und die Fortuna + Gladbach zumindest in Reichweite. Klar, seh ich ähnlich. Aber das ist doch kein Problem, dass sich auf die "Sponsoren"-Vereine beschränkt. Natürlich haben Bayern, der BVB, Schalke, Werder, der HSV oder Frankfurt keine Probleme die Hütte voll zu kriegen oder ihr Auswärtskontingent an den Mann zu bringen, Zweitligisten wie der FC, Düsseldorf, Lautern oder Pauli sicher auch nicht. Meinetwegen noch Stuttgart, aber wie weit da die Fantreue geht, hat man in der Euro-League-Quali gesehen. Ich glaube allerdings nicht, dass Vereine wie Freiburg und Augsburg oder unser Fast-Aufsteiger Paderborn ein arg höheres (Auswärts-)Fanaufkommen haben als Wolfsburg. Und ich glaube sogar Leipzig würde die bei einem eventuellen Bundesliga-Aufstieg locker überflügeln.
Wenn RB die Forderungen umsetzt, sprich: das Wappen ändert, den Aufsichtsrat neutraler besetzt und neue Mitglieder zulässt, reicht das für mich persönlich. Da die FIFA grad im Financial Fairplay anfängt durchzugreifen, brauch man bei einem Aufstieg auch keine Undinge erwarten. Und vor allem haben diese Vereine (aktuell) keine ach so tollen selbsternannten Ultras, die einen mit Bengalos, Böllern, vollgepissten und -gekackten Bierbechern, Rauchbomben und Fahnenstangen bewerfen und bei denen man im Dialog schon merkt, dass die eigene rechte Arschbacke einen höheren IQ hat. Und damit meine ich den Großteil der Vereine, denn diese Deppen gibt's fast überall, wo Tradition und Leidenschaft in etwas Negatives umgeschlagen sind.
Insofern: Locker bleiben uns es einfach mal akzeptieren, dass hochklassiger Fußball nicht immer aus den selben 30 Mannschaften besteht.