Wenn du durch einen Sturm gehst
Geh erhobenen Hauptes
Und habe keine Angst vor der Dunkelheit
Am Ende des Sturms
Gibt es einen goldenen Himmel
Und das süße, silberhelle Lied
einer Lerche
Geh weiter, durch den Wind
Geh weiter, durch den Regen
Auch wenn sich alle Deine Träume
in Luft aufl ösen
Geh weiter, geh weiter, mit Hoff nung
in deinem Herzen
Du wirst niemals alleine gehen
Geh weiter, geh weiter,
mit Hoff nung in deinem Herzen
Du wirst niemals alleine gehen
Ja, You´ll never walk alone ...
Doch Robert Enke ist seinen
Weg alleine zu Ende
gegangen. Ganz alleine in
der Dunkelheit, die in ihm
gewesen sein muss. Alle dachten, er ist
wieder da, kehrt zurück zu seinem geliebten
Sport, geht seinen Weg weiter gemeinsam
mit der Mannschaft und den
Fans von Hannover 96, weiter auch mit
der Nationalmannschaft. Und dann
kam gestern Abend die unfassbare
Nachricht, dass er in diesem Leben nicht
mehr weitergehen wollte.
Alle Vermutungen, die große Frage
nach dem Warum, sie sollten wir mit
großer Vorsicht behandeln. Jetzt ist die
Zeit der Trauer um einen Menschen, der
vielen Jugendlichen und Erwachsenen
viel bedeutet hat. Der ihnen Vorbild war,
Hoff nungsträger. Ein Sportler, der seinen
hundertprozentigen Einsatz für seinen
Sport mit sozialem Einsatz verbunden
hat. Ein Mann, dessen Umgang mit
seiner kranken Tochter und ihrem Tod
uns alle berührt hat. Ein Mann, der so
viel zurücklässt, was ihm kostbar und
wertvoll war.
An ihn denken wir heute Abend in
dieser Andacht. Wir denken an Teresa
Enke und ihre kleine Tochter, die ein
neues Familienleben aufbauen wollten.
Wir denken heute Abend an die
Mannschaftskollegen in Hannover und
in der deutschen Nationalmannschaft,
die Trainer und Betreuer und an alle
Fans, die die Nachricht gestern so sehr
getroff en hat.
Wir denken an die beiden Lokführer,
die Einsatzkräfte und die Notfallseelsorger,
die gestern Abend an der Unfallstelle
waren.
Wir vertrauen darauf: Du kannst nie
tiefer fallen als in Gottes Hand!
Liebe Gemeinde, es ist gut, wenn Sie
alle als Robert Enkes Fans, als seine
Freunde, seine Kollegen diesen Weg der
Erinnerung und der Trauer nicht alleine
gehen, sondern hier gemeinsam innehalten,
still werden. Es ist gut, wenn auf diesem
Weg der Trauer das Länderspiel für
den nächsten Samstag abgesagt wird,
weil auch im Leistungssport nicht der
ununterbrochene Betrieb zählt. Der Tod
eines Sportlers gebietet es besonders im
Leistungssport, den Lauf anzuhalten,
damit deutlich wird: Fußball allein ist
nicht unser Leben, sondern Liebe zueinander,
Gemeinschaft, sich gehalten
wissen auch in allen Schwächen unseres
Lebens, das zählt.
Es ist gut, wenn wir uns auf diesem
Weg der Trauer im Gebet versammeln.
Unsere Kirchen sind Orte, an denen wir
miteinander schweigen, weinen und
trauern können. Wir werden gleich Stille
halten und Kerzen anzünden - weil es
manchmal keine Worte gibt, die das
Leid ausdrücken können und die leisen
Töne, das Schweigen angesagt sind. Stille
kann heilsam sein.
Aber wir treten auch mit unseren
Zweifeln vor Gott: Warum? Viele fragen
auch: Wie kann Gott das zulassen, dass
ein Mensch so verzweifelt und keinen
anderen Ausweg mehr weiß?
Ich bin zutiefst überzeugt, dass Gott
kein Unglück in diese Welt schickt, sondern
diese Welt liebt. Gott will nicht
Leid über Menschen bringen, sondern
sehnt sich danach, dass wir das Leben in
Fülle haben, sagt die Bibel. Aber in dieser
Welt gibt es Leiden, Schmerz, Krankheit,
Ausweglosigkeit und Tod.
Gott begleitet uns gerade in solchen
Zeiten. Unser Herz erschrickt ja auch,
weil wir an diesem entsetzlichen Tod
von Robert Enke erkennen: unser Leben
ist zutiefst zerbrechlich und gefährdet.
Hinter Glück, Erfolg und Beliebtheit
können abgrundtiefe Einsamkeit und
Verzweifl ung liegen, die Menschen an
ihre Grenzen führen. Wie traurig ist es,
dass jemand nicht wagt, über Depressionen
und Krankheit zu sprechen, weil das
als Schwäche angesehen wird. Oder weil
es die Adoption der Tochter gefährden
könnte. Krankheit und Leid gehören
zum Leben! Dafür gibt es keine Pfi ff e!
Nein, das ist Empathie, Compassion,
Mitleiden.
Völlig unerwartet kann unser Leben
zu Ende sein, ob wir nun jung sind oder
alt. „Lehre uns bedenken, dass wir sterben
müssen, auf dass wir klug werden“,
sagt der Psalmbeter. Wer den eigenen
Tod im Leben mit bedenkt, hat eine tiefe
Lebensklugheit. Wer Leiden kennt,
weiß auch um die Tiefe des Lebens und
kann anders leben als oberfl ächlich dahin.
Wir werden Leid und Tod, Verzweiflung
und Depression in dieser Welt nicht
überwinden können. Das wird erst in
Gottes Zukunft so sein, in der alle Tränen
abgewischt sind. Ich glaube daran,
dass auf der anderen Seite der Grenze des
Lebens Gott unsere Toten in Empfang
nimmt. Ich glaube an die Auferstehung
und sie tröstet mich.
So stehen wir vor Gott in dieser Spannung
zwischen Aufschrei und Gottvertrauen.
Gottvertrauen aber kann uns
tragen, das habe ich immer wieder selbst
so erlebt. Gott geht mit uns in den
schwersten Stunden unseres Lebens.
Youˇˇll never walk alone, das ist nicht nur
Ihr Lied bei vielen Spielen, sondern es ist
auch die große Zusage, die Gott uns
gibt. In Psalm 23 heißt es: „Der Herr ist
mein Hirte, mir wird nichts mangeln. Er
weidet mich auf einer grünen Aue und
führet mich zum frischen Wasser. Er erquicket
meine Seele, er führet mich auf
rechter Straße um seines Namens willen.
Und ob ich schon wanderte im fi nstern
Tal, fürchte ich kein Unglück; denn du
bist bei mir, dein Stecken und Stab trösten
mich.“ You´ll never walk alone. Das
gilt zuallererst für Teresa Enke, die heute
Mittag so mutig von der Liebe gesprochen
hat, die sie und ihren Mann getragen
hat. Sie muss nun mit dieser Liebe
einen neuen Weg fi nden und mit Gottes
Hilfe wird sie ihn fi nden für sich und für
ihre kleine Tochter. Das gilt für die Familie
von Robert Enke. Und es gilt für
seine Mannschaftskameraden, die Verantwortlichen
im Fußballsport und für
Sie alle, seine Fans. Bei Gott können wir
zur Ruhe kommen in aller unserer Unruhe.
Und alle Fans sollten das wissen: Robert
Enke würde nicht wollen, dass ihm
jemand auf diesem Weg folgt! Er hat das
Leben geliebt und wünschte sich Wege
zum Leben.
Werden wir daher stille. Bringen wir
unser Mit-Leiden vor Gott, indem wir
Lichter anzünden, für Robert Enke, für
seine Familie, für alle, die gestern Abend
mit betroff en waren. Suchen wir Wege
zum Leben!
Halten wir an der Zuneigung zu Robert
Enke fest auch über seinen Tod hinaus,
den wir so schwer verstehen. Über
die Schwelle des Todes hinaus können
wir ihn nicht begleiten. Aber wir dürfen
der Zusage vertrauen, dass Gott uns über
diese Schwelle trägt und auch Robert
Enke bei ihm geborgen ist.
Sodass auch auf diesem letzten Weg
gilt:
Youˇll never walk alone. Amen
Andacht gehalten von Landesbischöfi n Dr. Margot Käßmann in der Marktkirche Hannover am 11. November