Jepp. Fast schon ein Wunder, dass wir in Deutschland im Vergleich noch fast "unschuldig" dastehen. Ein einzelner Terroranschlag könnte unsere Gesellschaft über Jahre grundlegend zeichnen. Wenn man in London seine Einkaufstüte nur zwei Minuten an der Bar vergisst wird schon fast die Polizei gerufen.
Eigentlich eine total unlogische Reaktion. Wo allein in Deutschland jeden Tag gut 2.500 Menschen sterben, was ist da ein Terrorakt wie in Belgien mit zwei Dutzend Toten? Trotzdem wirkt die vage Angst, die unberechenbar einschlagende, plötzliche, blutige Gewalt viel stärker. Drastischer.
Und wie ich eben beim Abendessen aufschnappen durfte, wurden am Stammtisch daraus plötzlich schon 200 Tote. Gefühl vs. Realität.
So ist das halt, man sieht alles immer relativ, und grad in den letzten 10-15 Jahren ist das Thema "Sicher und geborgen aufwachsen und dann nen Top-Job haben" das ABSOLUTE und vor allem auch scheinbar realistische Ideal. In Zeiten von Helikoptereltern brechen manche Leute ja schon hysterisch zusammen, wenn sich das Kind nen Fingernagel einreißt, und wenn ein Kind dem anderen Sand ins Gesicht schmeisst, werden die Eltern des "Täters" wegen Verletzung der Aufsichtspflicht angezeigt... eine echte Bedrohung durch "böse Menschen", die willkürlich töten, wird dann noch extremer wahrgenommen als früher.
Selbst wer heute in Brüssel war musste schon wahnsinniges Pech haben, um selber betroffen zu sein - aber man nimmt es eben viel schlimmer wahr als wenn es zB ein Unfall gewesen wäre, da Menschen bei Terror absichtlich andere töten. In Frankreich ist vor ein paar Monaten ein Tanklaster in einen Reisebus gefahren, ich glaub ca 60 Rentner sind verbrannt - trotzdem hat da tag drauf keiner Schiss, nur weil am Horizont ein Tankwagen auftaucht oder weil man in einem Bus sitzt. Wenn aber ein Terrorist 60 Leute mit einer Kalashnikow umbringt, schreckt man über Wochen hinweg bei jedem hoch, der nach "Nafri" aussieht oder der einen länglichen Gegenstand in der Hand hat...
Wir leben hier halt echt in EXTREM sicheren Verhältnissen, wenn man die Wahrscheinlichkeit berechnet, eines nicht-natürlichen Todes zu sterben, und gleichzeitig ist jedes kleine Unglück sofort in den Medien verfügbar, und WEIL wir so sicher leben kommt es uns umso schlimmer vor. Aber es gibt Länder, da ist es so normal über den Tod eines Bekannten zu erfahren wie bei uns zu sagen "XY hat sich ne Erkältung eingefangen" ... sei es wegen Terror, Krieg und Kriminalität oder auch einfach nur gefährlichem Straßenverkehr, Arbeitsverhältnissen, Krankheiten, Seuchen oder Hunger. Die würden über unsere Ängste lachen, wenn das Thema nicht so ernst wäre. Oder frag mal die älteren Leute in unserem Land, die den Wk2 noch erlebt haben. Die hatten vor allem in den größeren Städten im Westen 100pro mehr zu befürchten als wir es selbst dann haben würden, wenn es 1x im Monat nen größeren Anschlag geben würde.
Nebenbei: ich glaube nicht, dass ein Anschlag uns deutlich verändern würde. In England gab es schon immer Terror, vor den Islamisten war es zB die IRA, und herrenlose Koffer/Tüten sind in London auch in den 80er Jahren schon ein Grund für Aufruhr gewesen. Ich war mal in den 90ern für 5 Tage in London, da gab es 2-3x mal am Tag Sperrungen von Straßen oder UBahn-Stationen, weil damals irgendwas rund um die IRA los war und alles Verdächtige gleich abgeriegelt wurde. Und auch in D: was meinst du, wie oft ich hier in Köln schon seit zig JAHREN mitbekomme, dass bestimmt 1x die Woche irgendwo was gesperrt wird, weil man eine Tasche ohne Besitzer an einem öffentlichen Platz vorgefunden hat...? Meistens ist das halt nach ner halben Stunde geklärt und sorgt daher nicht extra für eine "News" - damit es wenigstens in die Lokalnachrichten kommt, muss so was schon ausgerechnet am Hbf passieren UND im Berufsverkehr und vor Beginn der Sendung noch keine Entwarnung da sein - ansonsten wird das gar nicht mehr erwähnt
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