aph am 31.01.2007 10:56 schrieb:
Für mich reicht dafür die Information, dass sie Philosophen waren. Als solche halte ich es für unwahrscheinlich, dass Fabelwesen in ihrer Vorstellung einer Welt Platz haben. Ich gehe aber davon aus, dass sie sich, wie viele Philosophen durch alle Jahrhunderte, regelmäßig die Frage gestellt haben, ob alles Schöpfung oder Zufall ist. Das ist was anderes als religiös sein.
Wie ich schon mal sagte, beschreiben deine "Beweise" allesamt nur einzelne Sachverhalte, aus denen keine Rückschlüsse für eine gesamte Gesellschaft gezogen werden können. Zudem sind sie manchmal auch noch falsch - wie zB die Behauptung, die kath. Kirche wäre ihrer Zeit oft voraus gewesen.
Der Grund für deinen Irrtum - und darauf zielte auch meine "polemische" Anmerkung - kann man als "Fachidioten"-Phänomen bezeichnen. Es mag sein, dass du vor 10 Jahren noch unvoreingenommen an die Materie herangegangen bist. Du hast dich dann intensiv damit beschäftigt. Irgendwann kam jedoch offenbar der Zeitpunkt, ab dem du überzeugt warst oder sein wolltest, dass die westliche Kultur (bzw. was du dafür hältst) "besser" ist als andere - und zwar aus zwingenden Gründen. Ab diesem Zeitpunkt hast du - zum Teil unmerklich - alle weiteren Details, auf die du stießest, in diesem Lichte interpretiert.
Es zieht sich erstaunlich offensichtlich durch deine gesamte Argumentation, dass du jegliche positive Erscheinungen des westlichen Kulturraumes der christlichen Religion oder gar kath. Kirche zuschreibst, während du alles Negative anderen, menschlich-niedrigen Motiven zuordnest. Du kannst gar nicht mehr anders. Für andere Kulturräume machst du es genau umgekehrt. Wenn etwas dort gut lief, lag es stets an christlichen Einflüssen (Bsp. Japan).
Dass das nicht glaubwürdig ist und deine zahlreichen Details in meinen Augen irrelevant macht, brauch ich dir sicher nicht erklären.
Es gab mal eine Studie, bei der die Urteile von Börsen-Amateuren und Börsen-Profis verglichen wurden. Während erstere nach ihren Instinkten und nicht fundierten oberflächlichen Wissen entschieden, nahmen letztere all ihr Fachwissen zu Hilfe. Das Ergebnis war überraschend eindeutig: Die Amateure hatten meistens Recht.
Woran lag das? Nun ganz einfach: Jeder "Fachidiot", der sich über lange Zeit intensive mit einem Thema beschäftigt, kann gar nicht verhindern, dass er sich gewisse Überzeugungen zu bestimmten Themen seines Fachs bildet. Dies führt dazu, dass er Informationen fehlinterpretiert, um seine Überzeugungen zu bestätigen.
Dasselbe ist dir offenbar auch passiert. Das beste Beispiel ist die Gegenreformation. Während der naive, unwissende Laie wie ich genau weiß, dass die kath-Kirche damals rückständig war und nur reagiert hat (rein intuitiv weiß ich das, auf wenigem Basiswissen aufgebaut), und du das von zahlreichen Laien wirst bestätigt bekommen, bist du tiefer in die Hintergründe getaucht. Und siehe da: Du hast zahlreiche Hinweise für eine gegenteilige Interpretation gefunden. Das überrascht mich nicht, aber es ist nur so zu erklären, dass du die noch zahlreicheren bestätigenden Hinweise ignoriert hast (die ich nicht kenne).
Du gehst sogar so weit, dass du dich über die allgemein wissenschaftlich anerkannte Bezeichnung "Gegenreformation" besserwisserisch mokierst. Ich möchte daran erinnern, dass du mir vorgeworfen hast, dass ich die angeblich wissenschaftlich anerkannte "Prägung" unserer Gesellschaft als eine christliche anzweifle. Dass du dasselbe tust, nur um dich bestätigen zu können, sollte dir endgültig zu denken geben.
Solange du nicht wieder die nötige Distanz zum Subjekt deiner Betrachtung zurückerlangst (die ich habe als jemand, dem die Kirche am Arsch vorbei geht), hat es absolut keinen Sinn, wenn ich irgendwelche Argumente bringen würde. Du würdest dann ohnehin nur mit weiteren Fach-Details reagieren, die wiederum rein selektiv wären, und würdest dich dann wiederum bestätigt sehen. Keinen einzigen Gedanken würdest du in deinem Inneren daran verschwenden zu überprüfen, ob meine Theorie denn ebenfalls zutreffen könnte (ein Beispiel dafür ist dein Ignorieren des Korrelations-Arguments). Wozu auch, du weißt es ja eh besser.
Wenn du ehrlich bist, würdest du das zugeben. Vielleicht solltest du mal etwas zurücktreten und reflektieren, wohin du in den letzten 10 Jahren gegangen bist und warum.
Philosophie und Religion schließen sich also aus?
Du schreibst in einem absoluten Tonfall, dass meine Behauptung die Kath. Kirche wäre ihrer Zeit voraus gewesen, falsch sei. Hast Du meine Argumentation nicht gelesen?
Der Begriff "Gegenreformation" ist später eingeführt (von einem Protestanten) und die Abhängigkeit Reformation-Gegenreformation wird in der FAchwelt in der Tat anders diskutiert, als es die Intuition tut. Abgesehen davon: bei einer Reformation bleibt das System erhalten und wird erneuert. Bei einer Revolution wird ein neues System eingeführt. Insofern war die Reformation per Definition eine Revolution. Dass Revolutionen häufig als Reformationen starten, ändert nichts am Ergebnis. Die Franz. Revolution wollte ursprünglich nur die Monarchie reformieren. Die Demonstranten in Petersburg 1906(?) wollten ihren Zaren behalten und nur die Bedingungen verändern. Aber diese Details sind eigentlich absolut unwichtig:
Viel wichtiger:
Der Grund, wieso ich kein Fachidiot sein kann, ist ja der, dass ich zum Beispiel hier im Forum die Diskussion suche und euch regelmäßig herausfordere, mein Modell - welches ja noch nicht einmal von mir "erfunden" wurde herauszufordern. Natürlich werden wir keine endgültigen Beweise finden, aber es gibt eine Summe von Indizien. Diese Indizien sind von mir aufgeführt. Es läge an Dir bzw. Euch Gegenindizien zu nennen. Selbst die kommen von mir, wenn ich zum Beispiel schreibe, dass die buddhistische Denkwelt deutlichi weiter ist, als die christliche, weswegen viele Christen sich mit ihr beschäftigen.
Dein Vergleich mit der Börsenwelt hinkt gewaltig, weil die Börsenwelt eine starke tagesaktuelle psychologisch begründete Komponente beinhaltet, die häufig Selbsterfüllend ist. Wenn ein Kostellani in einer Audi-Werbung sagt "Ich würde Aluminium-Aktien kaufen", steigen prompt die Aluminium-Werte. Bei Geschichte ist das leider oder glücklicherweise anders. Wenn alle sagen würden "Im Zweiten Weltkrieg hat das Deutsche Reich Madagaskar angegriffen", ändert das nichts an der Tatsache, dass dies historisch nicht der Fall war. Wenn alle sagen "die Inquisition hat 10.000.000 Menschen getötet", ändert das nichts an der Tatsache, dass es nur ein Bruchteil an Opfer gab. Wenn alle sagen "Das Mittelalter dachte, dass die Erde eine Scheibe ist", ändert das nichts an der Tatsache, dass die überwiegende Mehrheit der christlichen Gelehrten überzeugt war, dass die Erde eine Kugel ist.
---
Es ist schlicht und einfach FALSCH, wenn Du sagst: "Es zieht sich erstaunlich offensichtlich durch deine gesamte Argumentation, dass du jegliche positive Erscheinungen des westlichen Kulturraumes der christlichen Religion oder gar kath. Kirche zuschreibst, während du alles Negative anderen, menschlich-niedrigen Motiven zuordnest.
1. habe ich mehrmals gesagt, dass es eine Kombination auf einigen Hauptfaktoren war
2. habe ich _nie_ gesagt, dass die Christenheit ausschließlich positiv war.
Ich habe _nur_ gesagt, dass das was ich _GUT_ an einer Gesellschaft finde, deswegen entstanden ist, weil es verschiedene Faktoren gab. Der Faktor, der die Entwicklung der GEsellschaft, in der ich lebe, prägte und den ich in den anderen Gesellschaftsalternativen NICHT finde, ist das Christentum.
Ich habe ein einfaches Vorgehen skizziert, mit dem jeder das ganz ohne Fachidiotentum nachverfolgen kann. Ich habe Euch sogar aufgefordert, dieses Modell an EUREN Wertvorstellungen zu "challengen". Bisher habe ich noch keine Ahnung, welche Wertvorstellungen ihr favorisiert.
Und um es nochmal GANZ deutlich zu sagen:
Das Christentum und die Kirche geht mir am Arsch vorbei. Zur Wiederholung nochmal: Das Christentum und die Kirche geht mir am Arsch vorbei. Kapier es endlich.
Ich interpretiere nicht alle Details, auf die ich stoße in diesem Lichte. Wenn ich mich mit der japanischen Kultur und Geschichte beschäftige, dann frag ich mich, was die Menschen motivierte so zu handeln, wie sie es taten. Dann frage ich mich, ob ich das "gut" finden würde. Dann frage ich mich, wieso es woanders (egal ob jetzt Europa, Asien, Afrika oder Amerika) anders gelaufen ist. Dann frage ich nach den Faktoren, die den Unterschied ausmachen. Japan-Europa ist besonders interessant, weil beide eine im Prinzip ähnliche Feudalgesellschaft entwickelten, die sich jedoch total unterschiedlich auswirkten. Der für diesen Unterschied entscheidene Faktor? Rate mal! Hat was mit der Sonne, dem Tenno, der Insellage Japans und der Konfuzianischen GEsellschaftsteilung zu tun.
---
Ich befinde mich in einem kontiunierlichen Prozess, um meine Erkenntnisse abzugleichen. Dein letzter Beitrag hinterfragte immerhin schonmal MEINE Motivation und kann unter dem Aspekt "Quellenkritik" behandelt werden. Ich erwarte jedoch von Dir, dass Du meiner hier dargelegten Motivation glauben schenkst und im Rahmen Deiner zukünftigen Argumentation nicht weiterhin davon ausgehst, dass ich "nicht anders kann".
Genausowenig argumentier ich ja, dass Du als Schüler eines sozialistischen Systems einer atheistischen Gehirnwäsche unterzogen wurdest und deswegen "nicht anders kannst" als eine die allgemeine Kirchenkritik relativierenden Argumentation so zu begegnen.
Gruß
W.