AW: CDU: Vergangenheitsbewältigung mal anders.
Boesor am 12.04.2007 23:03 schrieb:
Der interessierte User hat bestimmt schon die Rede von Baden Würtembergs Ministerpräsidenten zum Tode von Ex Ministerpräsident Filbinger gelesen.
Filbinger war durch die Aufdeckung seiner Tätigkeit als Marinerichter im 2. Weltkrieg zum Rücktritt gezwungen worden.
Oettinger hat in seiner Rede nun behauptet:
- "Hans Filbinger war kein Nationalsozialist. Im Gegenteil: Er war ein Gegner des
NS-Regimes, der sich aber den Zwängen des brutalen Regimes ebenso
wenig entziehen konnte wie Millionen andere." (SpOn)
- "Es gibt kein Urteil von Hans Filbinger, durch das ein Mensch sein Leben
verloren hätte"
Da stellt sich mir doch die Frage wie wir "normalen" Bürger es je schaffen sollen vernünftig mit der Vergangenheit umzugehen, wenn bei Parteifreunden solche Beschönigungen (um nicht zu sagen Lügen) verbreitet werden können.
Alles leugnen oder was?
Als normaler Bürger geht man eigentlich gar nicht mit der Vergangenheit um, schon gar nicht, wenn es so lange her ist.
Ich (als Österreicher) kenne weder Filbinger noch Oettinger, aber ich halte es für durchaus möglich, dass Filbinger vielleicht gar keine (echte) andere Wahl hatte.
Soweit ich das jetzt mitbekommen habe, werden ihm im wesentlichem 2 Dinge vorgeworfen.
1. er war Marinierichter, was offenbar ein höheres Amt war
2. er hat einen Deserteur zum Tode verurteilt
Was Punkt 1 anbelangt, so sollte man nicht vergessen, dass die Nazis Widerstand nicht toleriert haben. Wer gegen das Regime war, ist kurzer Hand umgebracht worden. Offener Widerstand war also keine vielversprechende Alternative - das selbe Prinzip sehen wir heute immer noch bei allen anderen Diktaturen.
Offenbar war Filbinger Jurist und damit für den Job qualifiziert, hatte vielleicht sogar einen ähnlich davor (ist bisher nicht angesprochen worden). Als man ihm den Posten angeboten hat, hätte er theoretisch ablehnen können und damit gleichzeitig in Kauf genommen, dass er (und seine Familie) ein KZ von innen sehen. Ich hätte nicht abgelehnt.
Was das Todesurteil anbelangt, so war das sicherlich eine juristisch richtige Entscheidung. Auf Desertation stand Jahrtausende lang die Todesstrafe und die Nazis haben das nicht geändert. Selbstverständlich hätte er auch einen Freispruch fordern können, was gerade in dieser Situation (der Krieg war schon verloren, die Nazis haben es nur noch nicht wahrhaben wollen) zu 2 Hinrichtungen statt einer geführt hätte - Filbinger wäre der 2. Todeskandidat gewesen.
Beide angesprochene Interpretationen von mir sind Möglichkeiten, es kann durchaus auch so gewesen sein, dass er aktiv im Regime tätig gewesen ist und voll von der Ideologie überzeugt war. Wie es scheint, ist das aber unbekannt und daher verstehe ich nicht, warum man auf ihm bzw. Oettinger so rumhackt, der ihn (vielleicht) persönlich gut gekannt hat.
Mir persönlich geht diese ganze Nazi-Sch***e schon richtig auf die Nerven und besonders die "Vergangenheitsbewältigung". Wer meint, irgendeine Vergangenheit bewältigen zu müssen, soll das tun, aber laßt die anderen Menschen damit in Ruhe. Ich bin 30 Jahre nach Kriegsende geboren worden und habe überhaupt nichts zu bewältigen. Mein Vater ist während des Krieges geboren und meine Mutter danach - waren also beide keine Nazis.
Von meinen Großeltern weiß ich es nicht, vielleicht waren sie Nazis, vielleicht auch nicht (angeblich nicht), mir persönlich ist es egal.
Besonders absurd finde ich die Argumentation:
aph am 13.04.2007 10:48 schrieb:
Interessant finde ich an der Angelegenheit jedoch, wie reflexhaft eben jene Verteidiger von Alt-Nazis reagieren, wenn es um linke Vergangenheitsbewältigung á la Stasi oder RAF geht - nein, das ist ja unverzeihlich. Aber bei Nazis darf man schon mal ein Auge zudrücken, waren ja alles nur Mitläufer.
Die Stasi ist schon ein anderes Kaliber, vergleichbar mit der Gestapo oder von mir aus mit der Waffen-SS. Das war weitgehend der harte Kern, auch wenn es auch hier Ausnahmen gab.
Die RAF ist überhaupt nicht zu vergleichen, dass waren einfach nur Terroristen, die keineswegs von äußeren Umständen zu irgendwas gedrängt wurden.
Der Grund, warum die Stasi-Bewältigung anders aussieht als bei den Nazis ist wohl, dass es zeitlich noch nicht so lange her ist. Ein gewisses Maß an Doppelmoral wird sicherlich auch dabei sein, aber das ist eigentlich immer so.