Dieser Thread zeigt eindrucksvoll, warum man Wertungen abschaffen sollte
Nein, was dieser Thread zeigt, ist, dass man den Test lesen und nicht auf die Wertung glotzen sollte. Jeder Test findet vor einem bestimmten Hintergrund und in einem bestimmten Kontext statt, und der muss natürlich auch vom Leser zur Kenntnis genommen werden, wenn er dazu in der Lage sein möchte, eine Wertung entsprechend ihres Kontexts einzuordnen. Da ich dem geschätzten Lord diese gedankliche Leistung definitiv zutraue, verstehe ich auch seine Aufregung nicht wirklich, zumal besagter Kontext (Neuauflagentest, Grundspiel immer noch toll, Neuerungen teils enttäuschend, bessere Alternative ist GOG-Version) in dem Test ja nun wirklich ausführlich dargelegt wird.
Was da im Test wörtlich steht, sind Dinge wie "enttäuschende Neuveröffentlichung eines sensationellen RPG-Klassikers" und "... steckt immer noch ein großartiges Spiel. Baldur's Gate 2 gehört nicht ohne Grund immer noch in jede Auflistung der bislang besten PC-Rollenspiele: Es ist riesig, glänzt mit einer tollen Geschichte um einen charismatischen Bösewicht und das Erbe eines Gottes, nimmt Spieler mit charmanten Figuren, intelligentem Witz und bis heute unerreichter Party-Interaktion für sich ein und bietet dank vieler Charakterklassen, Entscheidungen und unterschiedlicher Quest-Verläufe einen gewaltigen Wiederspielwert." Wieviel deutlicher soll man als Tester denn noch darauf hinweisen, dass das eigentliche Spiel im Kern immer noch toll ist? Wer anhand dieser klaren Aussagen nicht dazu in der Lage ist, sich selber zusammen zu reimen, dass mit den 67% wohl kaum der "sensationelle RPG-Klassiker" und dieses "großartige Spiel", sondern im wesentlichen und in erster Linie die Qualitäten der Neuauflage bewertet werden, dem kann ich auch nicht helfen. Und dabei ist es doch nun wirklich Erbsenzählerei, ob "im wesentlichen" in diesem Falle bedeutet, dass sich das Original noch zu 20%, zu 10% oder zu 0% in der Wertung wieder findet. Natürlich kann man sich jeglicher Eigenleistung, die beim Verstehen und korrekten Interpretieren einer Wertung möglicherweise von einem gefordert wird, auch einfach komplett entziehen und stattdessen einfach nur auf nackte Zahlen glotzen, aber auf dieser Grundlage über eben jene Zahlen zu diskutieren, ist dann doch irgendwie sinnfrei.
Natürlich ist eine Zahl eben erst mal nur eine Zahl. Deswegen kann man als Tester auch nicht mehr machen, als den Hintergrund und das Zustandekommen dieser Zahl möglichst klar darzulegen und für den Leser möglichst transparent zu machen, und da sehe ich in diesem Test - offenbar im Gegensatz zum Lord - bestenfalls minimale Versäumnisse. Spätestens, wenn man einen Blick auf die Pros-und-Cons-Liste wirft (was ja in der Regel das erste ist, was man tut, wenn man wissen möchte, warum die Wertung so und nicht anders ausgefallen ist) und dort sieht, dass alle drei Cons-Punkte sich auf Eigenschaften der Neuauflage und nicht auf das Originalspiel beziehen, sollte doch wohl einigermaßen klar sein, was hier bewertet wurde. Dass darüber hinaus diverse Alterserscheinungen wie ein nerviges Interface und mangelnder Komfort auch noch das eine oder andere Pünktchen gekostet haben, ist zum einen nicht nur eher sekundär, sondern zudem auch noch ein Umstand, auf den im Test explizit hingewiesen wird: "Aber bei aller Nostalgie: Die Abwesenheit jeglicher Komfortfunktionen und die Notwendigkeit elendig langer Klickorgien bei der Organisation der Helden-Rucksäcke ist im Jahr 2013 einfach unverzeihlich und würde bei jedem neuen Spiel rigoros abgestraft werden – warum also nicht bei einer Neuauflage eines 13 Jahre alten Titels?"
Im übrigen finden sich Tests zum unmodifizierten Original dutzendweise online und in den Heftarchiven aller Magazine und wer sich für dessen Qualitäten interessiert, der soll eben die lesen. Der Informationsanspruch, den man an den Test einer Neuauflage stellt, kann sich doch nicht darin erschöpfen, im wesentlichen mal wieder die - ebenso unbestreitbaren wie hinlänglich bekannten - Qualitäten des Originals abzufeiern und dann auch noch komplett die Wertung dominieren zu lassen.