Kahlschlag kommt nach der Wahl
Die deutsche Industrie will Stellen im großem Umfang streichen - sobald
die Bundestagswahl vorüber ist. Dann läuft das Stillhalteabkommen mit
Berlin aus.
von Daniel Schäfer (Frankfurt) Richard Milne (London) und Birgit Marschall (Berlin)
Eine Art Stillhalteabkommen zwischen Industrie und Regierung verhindert
derzeit einen größeren Arbeitsplatzabbau in Deutschland. Der Pakt gelte
bis zur Bundestagswahl am 27. September, erfuhr die Financial Times von
mehreren Spitzenmanagern. "Deutschland ist momentan vor Veränderungen
sicher. Aber nach der Wahl wird sich die Botschaft ändern. Das ist ganz
normal", sagte Hakan Samuelsson, Vorstandschef des Münchner
Dax-Konzerns MAN.
Das Eingeständnis der
Manager belegt Befürchtungen, dass den deutschen Arbeitnehmern die
härtesten Einschnitte noch bevorstehen - auch wenn die Wirtschaft
wieder zu wachsen beginnt. Bislang verzichten die meisten Unternehmen
auf Stellenstreichungen. Die
Bundesregierung fördert diesen Kurs, etwa durch das milliardenteure
Programm zur Kurzarbeit. Experten bezweifeln jedoch, dass die
Wirtschaft diesen Kurs beibehalten kann: In puncto Produktivität haben
die deutschen Unternehmen zuletzt deutlich an Boden verloren, vor allem
im Vergleich zur US-Industrie, die die Krise zur Sanierung genutzt hat.
Den Angaben der Managern zufolge bestehen
im Maschinenbau und der Automobilindustrie weiterhin hohe
Überkapazitäten. "Mit Kurzarbeit lässt sich dem nicht beikommen, denn
die Unternehmen haben richtig zu leiden", sagte der Unternehmer
Reinhold Würth. Samuelsson zufolge verliert Deutschland in vielen
Fällen hinsichtlich notwendiger Umstrukturierungen kostbare Zeit. Die
USA seien im Anpassen schneller. Horrorszenarien,
wie sie noch vor wenigen Wochen kursierten, sind nach Ansicht deutscher
Topökonomen trotzdem unwahrscheinlich. Mehr als 90 Prozent der
Chefvolkswirte, die die FTD in ihrer monatlichen Exklusivumfrage für
den Konjunkturschattenrat befragt, schließen einen Anstieg der
Arbeitslosenzahl auf fünf Millionen bis Anfang 2011 aus. Die
saisonbereinigte Erwerbslosenzahl werde bei etwa 4,5 Millionen liegen,
sagte Kai Carstensen, Konjunkturchef des Münchner Ifo-Instituts.
Erholung mildert KrisenfolgenDer
Aufschwung im zweiten Halbjahr wird nach Meinung der Volkswirte
kräftiger ausfallen als bisher erwartet. Insgesamt soll die
Wirtschaftsleistung 2009 jedoch um 5,3 Prozent gegenüber dem Vorjahr
schrumpfen - bislang waren die Ökonomen im Schnitt von sechs Prozent
ausgegangen. 2010 beschleunige sich das
Wachstum auf Raten zwischen 1 und 2,5 Prozent, so der Schattenrat. Auf
einen robusten Aufschwung ließen am Freitag auch die deutschen
Einkaufsmanagerindizes schließen. Der Gesamtindex für Industrie und
Dienstleister sprang deutlich auf 54,2 Punkte und damit erstmals seit
August 2008 wieder über die 50-Punkte-Expansionsschwelle.