AW: Venezuela's Chávez - Fluch oder Segen Lateinamerikas?
Schindler am 18.08.2004 16:00 schrieb:
aph am 18.08.2004 15:48 schrieb:
Und was ist bitte mit deiner FAZ? Der von dir gelinkte Artikel war doch ein super Beispiel für unsaubere Recherche, oder nicht?
Sehe ich nicht ganz so. Es wird wiedergegeben, was an Diskussionen im Lande herrscht. Und das auf Grundlage von AP, Reuters und dpa.
Naja, wenn man über die Vorwürfe der Opposition über Wahlbetrug berichtet, dann ist es doch wohl die Pflicht eines Redakteurs, die Anwesenheit von renommierten Wahlbeobachtern im Lande und deren Aussage darüber mit anzugeben oder? Für mich ein ganz klarer Fall von Meinungsmache wider besseren Wissens. Vergiss die FAZ besser, die machen sowas öfter.
Nun zu den ****-Artikeln, die du mir geschickt hast. Das wird etwas länger.
Erst mal: Vielen Dank, die waren wirklich aufschlussreich. Teilweise boten sie mir neue Fakten, teilweise widersprachen sie sich, in einigen Fällen enthielten sie klare Lügen.
Die von dir angegeben Zitate waren übrigens - wie ich vermutet hatte - keine Fakten, sondern ihrerseits Zitate der Vorwürfe der Opposition. Also nichts gesichertes. Dass die Opposition Behauptungen aufstellt, die den Präsidenten in schlechtem Lichte darstellen, ist ja kein Wunder. Aber es fehlen dafür immer noch die Fakten.
Interessanterweise hast du folgende Stelle ausgelassen:
Aber handelt es sich überhaupt um eine Revolution? Venezuela bedient seine Auslandsschulden ohne Verzug. Chávez hat das Privateigentum nicht angetastet.
Verstaatlichungen gab es keine. Die USA, die ungefähr die Hälfte der venezolanischen Ölexporte kaufen, werden pünktlich bedient, ihre Wirtschaftsinteressen sind nicht tangiert. Der Bush-Administration ist Chávez trotzdem ein Ärgernis. Er ist mit dem ewigen Widersacher auf Kuba befreundet.
Dafür zitiere ich mal andere Stellen aus den Dossiers, wenn ich darf.
Über den versuchten Putsch:
Nach dem Putsch im April verdächtigten Chávez' Leute umgehend die Vereinigten Staaten, den Umsturzversuch wie seinerzeit den Staatsstreich gegen den früheren chilenischen Präsidenten Allende eingefädelt zu haben. Das International Republican Institute, Teil der konservativen Nationalstiftung für Demokratie, die wiederum von der CIA angeblich als Tarnorganisation für Geheimoperationen im Ausland genutzt wird, soll Beziehungen zu den Putschisten in Caracas unterhalten haben. Vor der venezolanischen Küste, heißt es, sei zum kritischen Zeitpunkt ein amerikanisches Kriegsschiff gesichtet worden. Chávez selbst berichtete, er habe auf der Karibikinsel, auf der er zwei Tage festgehalten wurde, ein amerikanisches Flugzeug gesehen.
Man kann nur spekulieren, wie weit die aktive Unterstützung ging. Als jemand den amerikanischen Botschafter in Caracas unter vier Augen anflachste, diesmal hätten die USA sich aber in flagranti erwischen lassen, lachte der nur, ohne die Anschuldigung abzustreiten. Vermutlich wurde stillschweigend Beihilfe geleistet, die auf einen Otto Reich zurückgeht, einen exilkubanischen Scharfmacher, den Präsident George W. Bush zum Leiter der Südamerika-Abteilung im Außenministerium ernannte. Tatsächlich merkte das State Department sehr bald, dass es sich durch die Nähe zu den Putschisten mehr Schaden als Nutzen einhandelte. Außer Kolumbien, Peru und Ecuador verurteilten alle südamerikanischen Staaten den Staatsstreich.
Hier mal eine Lüge:
Wenn der Befehl aus Miraflores kommt - das geschieht immer häufiger -, werden alle Fernsehkanäle gleichgeschaltet, um eine stundenlange Ansprache des großen Führers zu übertragen.
Die privaten Fernsehsender sind fest in den Händen der Opposition. Der Sender des Präsidenten hat einen Marktanteil von ca. 5%, wie in einem anderen der 5 Artikel bestätigt wird.
Noch mal zum Putsch:
Am 11. April dieses Jahres marschierten Hunderttausende Regimegegner nach einer Großkundgebung zum Präsidentenpalast. Scharfschützen schossen von den Dächern zweier Hotels und etlicher öffentlicher Gebäude in die Menge. 17 Menschen starben, Hunderte wurden verletzt. Chávez gab den Befehl, Panzer auffahren zu lassen.
An dieser Stelle muss ich dir unbedingt die ZDF-Dokumentation
"Chavez – Ein Staatsstreich von innen" ans Herz legen. Gibts auch auf Video. Darin wird u. a. das Gebaren der Opposition auch mal beleuchtet, die Einmischung der USA belegt, vor allem aber die zitierte Stelle aufgeklärt. Das oppositionelle Privatfernsehen hatte Demonstrationen, weglaufende Menschen und schießende Scharfschützen so hintereinandergeschnitten, dass der gewünschte Eindruck entstand. Die Szenen hatten aber in Wahrheit keinen Bezug zueinander, wie durch Nachforschungen der gezeigten Orte und zahlreiche Zeugenaussagen in der Doku klar wird. Dennoch war die Ausstrahlung erfolgreich und führte letztlich zu der 2tägigen Festsetzung von Chávez.
Auch hier hat die **** also entweder nicht ordentlich recherchiert oder ignoriert die Wahrheit. Schade.
Das interessanteste Dossier war aber jenes über die Ölwirtschaft, denn es lässt auch Rückschlüsse auf die Zeit VOR Chávez zu.
Demnach sank die Erdölproduktion der staatlichen Firma seit Amtsantritt 1999 bis Ende 2003 von einst 3 Mio.Barrel auf 1,7-1,8 Mio. Barrel. Im Gegenzug stiegen die Fördermengen der privaten Ölfirmen in Venezuela auf 0,8 Mio Barrel. Diese privaten Ölfirmen wurden erst 1995 von der vorherigen Regierung zugelassen.
Sie (die private Ölförderung) beruht allerdings auf "verhängnisvollen Verträgen für die venezolanische Wirtschaft", wie der Ökonom und Erdölwirtschaftsexperte Victor Poleo meint.
Tatsächlich befreien die Verträge die Konzerne auf Jahre fast ganz von Steuern und Staatsabgaben. Auch der Deutsche Klaus Schäffler, seit 28 Jahren Wirtschaftberater in Caracas, gesteht: "Mit diesen Konditionen wird Venezuela vom Ausland über den Tisch gezogen wie noch nie zuvor." Hugo Chávez untersagte künftige Deals dieser Art bereits per Gesetz.
Die privaten Erdölkonsortien sind Joint Ventures internationaler Erdölkonzerne, oft mit Minderheitsbeteiligungen der staatlichen PDVSA.
Diese Fakten waren mir neu. Sie zeigen, dass die Ex-Regierung den Ausverkauf der venezuelanischen Ölreserven betrieben hat. Chávez hat dies gestoppt, aber es scheint zu spät zu sein. Die staatliche Förderung sinkt, während die private (von denen der Staat nichts hat) steigt. Insgesamt sinkt die Wirtschaft Venezuelas, und die Arbeitslosigkeit und Armut steigt.
Komischerweise ignoriert die ****in den andern 4 Artikeln, die du mir geschickt hast, eben diese Zusammenhänge und spricht immer nur vom Rückgang der staatlichen Ölförderung unter Chávez. Ist nicht auch dies tendenziös?
Ich habe jetzt ein neues Bild von Chávez. Er trat mit den richtigen Absichten an, schafft es aber aufgrund seiner intellektuellen Unfähigkeit nicht, sie durchzusetzen. In 5 Jahren hätte man es eigentlich schaffen müssen, die Ölproduktion gänzlich unter Kontrolle zu bringen, statt diesem kostenfreien Abfluss von Öl weiter zuzuschauen. Jetzt wird mir endlich klar, wieso Chávez es trotz des Ölreichtums nicht schafft, das Land wieder zu gesellschaftlichem Reichtum zu verhelfen. Die Schulden der Vorgängerregierung müssen ja auch noch abgezahlt werden.
PS: Falls ich dir zu viel aus den "nicht öffentlichen" Quellen zitiert habe, sag mir bitte bescheid, dann muss ich wohl kürzen.