Trancemaster am 10.07.2006 10:59 schrieb:
Zwar ist es tatsächlich so, dass etliche Abgeordnete seit relativ langer Zeit nicht mehr selbst einkaufen waren und deswegen sehr komische Antworten geben, wenn man sie nach den Preisen für etwa Butter fragt, ABER zu behaupten, sie hätten überhaupt keine Vorstellung, wie es am unteren Ende der Einkommensskala aussieht, ist schon sehr mutig.
Ich halte diese Einschätzung für durchaus legitim, wenn man sich allein die Entscheidungen ansieht, welche Politiker im Bezug auf die für sie "unteren Einkommensklassen" treffen. Ich habe schon den Eindruck, dass sie teilweise überhaupt keine Ahnung haben, was ihre Entscheidungen bei den "normalen Einkommen" anrichten.
Zum Einen gibt es - übrigens wie der Altkanzler - etliche Politiker, die es von unten geschafft haben - und vielleicht gerade deswegen überhaupt nicht auf die Hängematte Sozialstaat abfahren, zum Anderen sind alle MdBs auch gut Zeit damit beschäftigt, sich in ihren Wahlkreisbüros das Wehklagen der Bewohner anzuhören
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Naja, "von unten" ist wohl nicht ganz richtig - aber das "hochkommen" an sich, ist in dieser Parteienlandschaft furchtbar einfach und keineswegs sonderlich schwierig, es sei denn man hat Charakter und muss sich zum Speichellecken überwinden - dann ist es eine große Leistung. Würden die Damen und Herren MdB's Entscheidungen treffen, die nicht ständig diejenigen die ohnehin wenig haben belasten, müssten sie sich auch nicht das jammern antun - andererseits sind Wehklagereien von mittellosen Menschen weniger "gefährlich", als wenn jemand mit dickem Konto mit einem Rechtsstreit gegen die Person selbst droht und anzettelt.
Also, wenn Schröder nicht von unten kommt, woher dann? Hallo, der Junge konnte sein Abitur nicht machen, weil seine alleinerziehende Mutter das Schulgeld nicht aufbringen konnte
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Das Hochkommen in einer Partei hat weniger mit Speichellecken als mit geschickter Netzwerkbildung zu tun - der Andenpakt ist da das deutlichste Beispiel. Aber das gehört nicht hierher
- natürlich ist ein Großteil der Politiker schon aus bürgerlichen Schichten, ich glaube aber nicht, dass Unkenntnis der Grund dafür ist, Entscheidungen zu treffen, die Einkommensschwache vermeintlich belasten, sondern eher die Überzeugung, dass das so richtig und gerecht ist.
Falls das so wäre, was wäre deine Konsequenz? Politikerentgelte fünfteln? Kann ich mir schwerlich vorstellen.
Ich kann mir so einige "Repressalien" für Politiker vorstellen:
Charakterprüfungen
Das nicht einer der Bande auch nur ansatzweise Anstand besitzt, erkennt man allein daran, dass seit Jahren die Finanzlage des Staates als "prekär" betitelt wird, was aber an Steigerungen ihrer Diäten nichts geändert hat. "Lohnerhöhungen" die von "ANGESTELLTEN" der Bevölkerung selbst bewilligt werden können, und schamlos bewilligt werden - eine Farce. MdB sein heisst: Dem Land zu dienen! - Nicht das Land auszurauben!
Das hat aber so viel mit Charakterprüfung eigentlich nicht zu tun. Die große Koalition hat doch zum Legislaturperiodenanfang beschlossen, dass sich Abgeordnete auch selbst rentenversichern müssen. Darüber hinaus kann ich deine idealistische Perspektive zwar nachvollziehen, aber effektiv wäre dann doch das Problem, dass dann der Anreiz zur Korrumpierbarkeit eher noch höher läge - oder die Leute gleich in die Wirtschaft gingen.
Zumal eine Kürzung der Diäten von nichtmal 700 Menschen jetzt echt nicht der große Haushaltswurf ist
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Politiker = Vollzeitjob
Jeder der ein Mandat in Land- oder Bundestag hat, darf keinen weiteren beruflichen Tätigkeiten nachgehen - wird also vom Arbeitgeber "freigestellt" unter Wegfall aller Bezüge. Nach seiner Abwahl kann er ohne Schwierigkeiten die Tätigkeit wieder aufnehmen. Im selben Paket wäre die Pflicht vorhanden, zu ALLEN Sitzungen des Bundestags dabei zu sein. Ich krieg regelmäßig das große Kotzen wenn ich sehe, dass bei den Abstimmungen zur Diätenerhöhung der Saal brechend voll ist, aber bei Themen die z.B. die Jugend angehen, der Saal nur von den Sprechern der Parteien besucht wurd.
Ich stimme dir, was Nebentätigkeiten angeht, voll zu (vielleicht mit Ausnahme gemeinnütziger, sportlicher oder kultureller Vereine).
Zu den Sitzungen bitte ich aber zu bedenken, dass du dabei letztlich dem Trugschluss unterliegst, der Plenarsaal sei das Hauptorgan des Deutschen Bundestages. Die überwältigende Anzahl aller Gesetzentwürfe wird in den Ausschüssen - die von ihren Mitgliedern auch gut besucht werden - bereits beschlussfähig beraten. Das Plenum ist dann wirklich nur ein "Abnicken".
Nicht jeder Abgeordnete kann sich über ein Thema wirklich hinreichend informieren, dafür ist nahezu überall die Materia zu komplex. In Fraktionen mit intern vereinbarter obligatorischer Anwesenheit hat das dazu geführt, dass vor den Sitzungen Blätter mit "Abstimmungsempfehlungen" rausgegeben werden. Dann sind zwar alle da und stimmen ab, aber effektiv geändert hat sich auch nichts.
Im Übrigen halte ich es zwar aus repräsentativen Gründen für ungünstig, allgemein jedoch für erforderlich, dass Abgeordnete nicht ständig allen Sitzungen beiwohnen, weil für ganz triviale Sachen wie die Eröffnung wichtiger Projekte im Wahlkreis (in meinem Fall: Eröffnung meines Theaterfestivals durch einen MdB) keine Zeit bleibt und der MdB nur noch mehr in den Elfenbeinturm eingesperrt wird.
Mit Ausnahme einiger Kommunalpolitiker kenne ich wirklich keinen Politiker, der in deinem Sinne "faul" ist.
Langfristige Haftung bei fahrlässigen Entscheidungen/ absichtlichen Lügen / nachgewiesenen Bestechungen
Blühm (das war der mit der "sicheren Rente) gehört wie die Hälfte der ehemaligen Kohl- und Schröder-Clique in den Bau. Wen nachgewiesen werden kann, dass Politiker wissentlich gelogen haben, und somit enormen Schaden am Staat verursacht haben, müssen sie haftbar gemacht werden können - zumindest mit dem eigenen Vermögen. Kohl gehört in Beugehaft - und das Schäuble - ein korrupter Politiker heute Innenminister ist - dürfte wohl die deutlichste Aussage in Punkto "Bananenrepublik" sein.
Zu Schäuble habe ich eine etwas andere Auffassung, bei Kohl habe ich nicht die notwendige juristische Kenntnis, um zu entscheiden, ob die gezahlte Kaution ausreicht oder tatsächlich härtere Maßnahmen erforderlich wären. Bei Blüm ist die Sache relativ einfach - eine große deutsche Tageszeitung *hust* hat nämlich versucht, per "Rentenlüge" den jetzigen Bundesarbeitsminister anzuklagen - und die Klage wurde abgewiesen, weil grundsätzlich das Versicherungsprinzip (du erwirbst eine Anwartschaft, nicht mehr) gewahrt bleibt.
Dass in der öffentlichen Kommunikation etwas anderes gemeint war und auch sonst gerne... sagen wir mal... suggesitv kommuniziert wird, ist ja außer Frage. Echte Lügen allerdings wirst du schwerlich Politikern nachweisen können. Ebenso für Bestechungen - weil viel halt mit Lobbygruppen ausgekungelt wird (siehe Emissionszertifikate) - aber schwarze Koffer etwas an Popularität verloren haben
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Fahrlässige Entscheidungen... puh... wen willst du jetzt in Haft nehmen? Adenauer, der für mich die fahrlässigste Entscheidung der BRD-Geschichte getroffen hat, ist tot. Und darüber hinaus würdest du dann alle zugestimmt habenden MdBs einbuchten oder wie?
In der Summe keine schlechten Idee, die aber schwerlich praktikabel sind... und ich weiß nicht, ob ein imperativeres Mandat so viel bringen würde...