Also auch wenn ich mich jetzt hier etwas auf's moralische Glatteis begebe, aber kommt man sich nicht selbst dämlich vor, wenn man früher Leute ausspioniert hat, ausgefragt hat und Akten über seine Opfer angelegt hat und heute den moralischen Zeigefinger gg. genau solche Gruppen erhebt?!
Doppelmoral ist heute doch en vogue. Gestern wurde Chelsea Manning zu 35 Jahren Gefängnis verurteil, und am Tag zuvor hat Obama's DoJ Immunität für Bush, Cheney, Rumsfeld, Rice, Powell und Wolfowitz Immunität im Falle Saleh v. Bush beantragt.
Spaß beiseite. Den moralischen Aspekt muss Gysi mit seinem eigenen Gewissen klären, sollten die Vorwürfe zutreffen. Für mich wird das jetzt die fünfte Bundestagswahl, zu der ich meine Stimme abgeben darf, und die Wahl kondensiert sich in dieser Hinsicht auf:
-- Personal, das möglicherweise Dreck am Stecken hat, dessen Wahlverhalten im Parlament jedoch über Jahre in vielen Aspekten meinen eigenen Ansichten entsprochen hat
-- Personal, das dieses "Dreckes" nicht verdächtig ist, dessen Wahlverhalten im Parlament jedoch oftmals diametral zu meinen eigenen Ansichten steht
Da mir Inhalte wichtiger sind als unbefleckte Persönlichkeiten, wähle ich in erster Instanz nach Inhalten. Erst bei einem inhaltlichen Remis kommen die beteiligten Persönlichkeiten ins Spiel.
Das ist der Punkt, der mich an Gysi so stört. Was übrigens die aktuellen Überwachungsgesetze betrifft: wollen wir jetzt wirklich darüber sprechen, was in Gefängnissen der Staatssicherheit passiert ist?
D.h. die Überwachung damals hatte größere Ausmaße als heute und deutlich mehr Auswirkungen auf die Bürger.
Weder hab ich eine Äquivalenz postuliert, noch irgendwelche Wertungen zur Stasi abgegeben. Ich sagte nur, dass im Rahmen des "Krieges gegen den Terror" viel aufgegriffen wurde, dass ich als Stasi-Methodik bezeichnen würde und in keinster Weise unterstützen oder auch nur tolerieren kann. Und wer im Parlament dafür gestimmt hat, ist klar belegt.
Das war jetzt bissle flappsig formuliert und sollte kein Angriff auf Links Wähler sein.
Ich bezog das eher darauf, dass den treuen Wählern der Linken die Stasi Vergangenheit jetzt nicht soooooooo wichtig ist bzw. das ein Ausschlusskriterium wäre.
Verständliche Ansicht, trifft jedoch auf mich, wie auch auf viele andere nicht zu.
Ich bin treuer Wähler einer sozialdemokratischen Politik, die, wenn man es denn unbedingt personifizieren will, irgendwo zwischen Willy Brandt und Franklin D. Roosevelt/Henry Wallace angesiedelt ist. Wer auch immer die von mir damit assoziierten Werte vertritt, bekommt meine Stimme. Und da "vertreten" nicht durch Lippenbekenntnisse, sondern durch Stimmabgabe im Parlament definiert ist, sind die Alternativen nicht wirklich zahlreich. Ein sehr gefährlicher Zustand, wenn ich das so sagen darf, da ich unterschiedliche Ansichten und die daraus entstehenden Konflikte als essenziell betrachte.
Kurzum: wenn fragwürdige Persönlichkeiten der Preis sind, den ich zu zahlen bereit sein muss, wenn ich Politik sehen will, die nach meiner Auffassung für die Menschen in Deutschland und Europa von Vorteil ist, so be it. Die Kröte kann ich schlucken.