Zusammenfassung der Rechtsfragen betreffend die Veröffentlichung von "Zeitungszeugen“
1. Stand der rechtlichen Auseinandersetzung
In dem Rechtsstreit betreffend „Zeitungszeugen“ muss zwischen der zivilrechtlichen (urheberrechtlichen) Auseinandersetzung einerseits und dem strafrechtlichen Verfahren andererseits unterschieden werden:
Der Freistaat Bayern hat sich mit Schreiben vom 16.01.2009 und 22.01.2009 auf die Urheberrechte u. a. von Adolf Hitler und Joseph Goebbels berufen und auf dieser Grundlage von dem Herausgeber gefordert, die Beilage der Zeitungen „Der Angriff“ und „Völkischer Beobachter“ aus dem Jahr 1933 im Rahmen des Journals „Zeitungszeugen“ zu unterlassen. Für eine gerichtliche Klärung dieses Unterlassungsanspruchs ist die Zivilgerichtsbarkeit zuständig. Wir haben bis heute keine Kenntnis von der Einleitung eines entsprechenden Verfahrens.
Wie Sie wissen hat Auf Antrag des Freistaats Bayern die Staatsanwaltschaft München am 23.01.2009 beim Amtsgericht München einen Beschluss zur Beschlagnahme der Beilagen „Völkischer Beobachter vom 1. März 1933“ und des Plakats „Der Reichstag in Flammen“ in der Ausgabe „Zeitungszeugen Nr. 2“ erwirkt. Der Beschluss ist ohne vorherige Anhörung erlassen und mit dem Verdacht begründet worden, dass der Herausgeber von „Zeitungszeugen“ sich wegen Verwendens von Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen in Tateinheit mit gewerbsmäßiger unerlaubter Verwertung gemäß §§ 86 a, 86 StGB, §§ 108 Abs. 1, 106 Abs. 1 UrhG strafbar gemacht habe. Gegen den Beschluss hat der Herausgeber am 28.01.2009 Beschwerde eingelegt. Mit Einlegen der Beschwerde ist erstmals ein vorläufiges (straf)gerichtliches Verfahren eingeleitet worden, das die Rechtmäßigkeit der Beilage der benannten Publikationen zum Gegenstand hat.
2. Die zivilrechtliche (urheberrechtliche) Zulässigkeit
Die Beilage der Publikationen aus dem Jahre 1933 im Journal „Zeitungszeugen“ ist aufgrund der Zitierfreiheit nach § 51 Satz 2 Nr. 1 UrhG zulässig. Hiernach dürfen einzelne Werke nach der Veröffentlichung in ein selbständiges wissenschaftliches Werk zur Erläuterung des Inhalts aufgenommen werden:
Das Finanzministerium räumt in seinem Schreiben vom 16.01.2009 ausdrücklich ein, dass ein wissenschaftlicher Ansatz des Journals „Zeitungszeugen“ nicht in Frage gestellt wird.
Die redaktionellen Beiträge des Journals setzen sich mit den beigelegten Publikationen auf verschiedenen Ebenen auseinander: dem zeitgeschichtliche Kontext der Veröffentlichung, der Presselandschaft während der behandelten Zeit und den Publikationen im Einzelnen. Schließlich ist ein zentrales wissenschaftliches Anliegen des Beirats, dem heutigen Leser den Wahrnehmungs- und Erkenntnishorizont der Zeitungsleser im Jahre 1933 nahezubringen. Der Leser soll in der unmittelbaren Begegnung mit ausgewählten Publikationen der behandelten Zeitgeschehen in eigener Anschauung einen Beleg für die Beiträge im redaktionellen Teil erhalten.
Nach § 51 Satz 2 Nr. 1 UrhG dürfen ganze Werke zitiert werden (so genanntes wissenschaftliches Großzitat). Auch das lose Einlegen der Originalquellen in den redaktionellen Mantel ist für das skizzierte wissenschaftliche Anliegen des Beirats erforderlich und gerechtfertigt. Dem heutigen Leser kann der Wahrnehmungs- und Erkenntnishorizont der Zeitungsleser im Jahre 1933 nur nahegebracht werden, wenn die betroffenen Publikationen als „Zeitungen“ in der historischen Druckfassung und Faltung vermittelt werden.
Die Zitatfreiheit nach § 51 UrhG ist nach ständiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichtes im Lichte der betroffenen Grundrechte auszulegen. Das Urheberrecht ist Ausdruck der Eigentumsgarantie des Artikels 14 Grundgesetz und beinhaltet das Verwertungsrecht sowie das Urheberpersönlichkeitsrecht. Der Freistaat Bayern hat ausdrücklich erklärt, kein kommerzielles Interesse an der Verwertung der Publikationen zu haben. Dass sich der Freistaat Bayern auf die Urheberpersönlichkeitsrechte von Adolf Hitler und Joseph Goebbels zur Untersagung einer Veröffentlichung beruft, ist unvorstellbar. „Zeitungszeugen“ hingegen wird von den Grundrechten der Pressefreiheit, Artikel 5 Absatz 1, sowie der Freiheit von Wissenschaft, Forschung und Lehre, Artikel 5 Absatz 3 Grundgesetz, geschützt. In einer Abwägung der betroffenen Grundrechte überwiegt das Interesse sowohl des Herausgebers und des Beirates an der freien Presse- und wissenschaftlichen Arbeit wie auch das grundrechtlich geschützte Informationsinteresse der Allgemeinheit deutlich.
3. Kein Verstoß gegen das Strafrecht
Das Finanzministerium sieht in der Beilage der Publikationen aus dem Jahre 1933 eine strafrechtswidrige Verbreitung von Propagandamitteln verfassungswidriger Organisationen sowie die Verwendung von Kennzeichen solcher Organisationen, §§ 86, 86a Strafgesetzbuch. Ferner sieht der Freistaat Bayern in der Beilage der Publikationen eine Straftat wegen Verstoßes gegen Urheberrechte, § 106 Urhebergesetz.
Die Straftatbestände der §§ 86, 86 a Strafgesetzbuch finden aus mehreren Gründen keine Anwendung:
§§ 86, 86 a StGB sollen vor Propagandamitteln und Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen schützen, die gegen die Verfassung der Bundesrepublik Deutschland gerichtet sind. Der Bundesgerichtshof hat hieraus gefolgert, dass Dokumente, die vor Inkrafttreten des Grundgesetzes veröffentlicht worden sind (so genannte vorkonstitutionelle Schriften) aus dem Anwendungsbereich der §§ 86, 86a Strafgesetzbuch ausscheiden. Dies gilt insbesondere dann, wenn - wie im Journal „Zeitungszeugen“ - mit den beigelegten Publikationen eine wissenschaftliche Aufklärung über die nationalsozialistische Gewalt- und Willkürherrschaft einem breiten Publikum vermittelt werden soll.
Ferner ist die Beilage der Publikationen nach den Maßgaben des § 86 Absatz 3 StGB zulässig: Die Beilage der Publikationen im Rahmen des Journals „Zeitungszeugen“ dient sowohl der staatsbürgerlichen Aufklärung, als auch der Wissenschaft und ohne weiteres erkennbar der Berichterstattung über Vorgänge der Geschichte. Jeder einzelne dieser Umstände rechtfertigt nach den Vorschriften des Strafgesetzbuches die Beilage der Publikationen.
Aus den in Ziffer 2 genannten Gründen, ist die Beilage der Publikationen von der Zitatfreiheit des Urheberrechts erfasst. Bereits aus diesem Grunde scheidet auch eine Strafbarkeit nach § 106 UrhG aus.