Pirat am 01.08.2006 04:08 schrieb:
Kann mir irgend jemand sagen, wiso die juden seit tausenden von jahren immer wieder vertrieben und getötet werden?
Vorsicht. Das wird ganz schnell Glatteis. Die Juden wurden wie jede andere (unterlegene) Bevölkerungsgruppe vertrieben, deportiert bzw. sind emigriert. Das haben in den letzten Jahrtausenden viele Volksgruppen gemacht. Die Juden sind da keine Ausnahme.
Der einzige Unterschied: Die Juden haben diese Erlebnisse und Erfahrungen in ihre Religion einfliessen lassen. Speziell die Entwicklung des Rabinertums während der Gefangenschaft in Babylon, ist ein perfektes Werkzeug, um eine Identität von dezentral siedelnden Gruppen zu gewährleisten.
Viele andere Völker haben diese intellektuelle Leistung nicht vollbracht und wurden assimiliert. Das kann gut sein oder schlecht sein. Keiner von uns identifiziert sich heute als Cheruscer, Suebe oder Markomane. Eventuell noch als Hesse, Sachse oder Schwabe, aber wahrscheinlich dann doch eher als Deutscher oder sogar Europäer (außer die Bayern, die waren schon immer Bajuwaren
) Während es Dir also heute ziemlich egal ist, ob vor 2000 Jahren ein Markomanen-Stamm durch die Römer vertrieben wurde, ist die dauernde Vertreibung ein Teil der jüdischen Identität. (Sogar die heutigen Sachsen fühlen sich als Sachsen, obwohl sie eigentlich Thüringer sind
)
Die Juden behielten ihre Identität und entwickelten länderübergreifende Netzwerke, die später ihre Vorteile boten, wenn es zum Beispiel um Handel ging. Im Prinzip haben die Juden vor 2000 Jahren (Zerstörung des Tempels in Jerusalem durch die Römer) angefangen den Prototyp einer globalisierten Gesellschaft zu entwickeln. Man kann jetzt sagen, dass es besser gewesen wäre, wenn sich die Juden in ihren Regionen angepasst und somit verschwunden wären, aber das ist nunmal nicht passiert - basta.
Nachteil dieser Form der Identitätsstiftung: Wenn ich einmal eine dezentrale Struktur habe, wird es schwierig eine zentrale Einheit aufzubauen. Die Gründung des Staates Israel war in der Tat hier der Höhepunkt einer Entwicklung, die 2000 Jahre andauerte. Und in diesem historischen Zeitrahmen muss man das Verhalten Israels betrachten, wenn sie sich bedroht fühlen. Damit will ich ganz bestimmt nicht die aktuellen Ereignisse rechtfertigen. Aber man muss das wissen, um die Handlungen nachvollziehen zu können.
Deswegen zu sagen, dass die Juden in ihrer Art daran schuld sind, ist mehr als fragwürdig.
Der Staat Israel und das Judentum steuert übrigens auf ein ganz interessantes Problem hin: Die Entwicklung der Juden würde durch den Neubau des Tempels endgültig abgeschlossen werden (die Diaspora müsste dann eigentlich beendet sein) und nach jüdischem Glauben müsste sich dann auch das Rabinertum auflösen. Es wird interessant, ob das tatsächlich funktioniert und wie authentisch die Juden in der Interpretation ihres Glaubens und ihrer Geschichte sind. Da sie ja wenn es um die Verteidigung ihres Landes geht, sehr authentisch sind, müssten sie eigentlich das Rabinertum auflösen. Spannend wäre dann auch die Frage, wer dann oberster Tempelpriester wird und ob die Rabiner da mitspielen
Ist schon schwierig, wenn man seinen liebgewonnen Status nach so langer Zeit abgeben muss. Im Prinzip Konfliktpotenzial für einen eigenen Bürgerkrieg.
W.
PS: Ein netter Aspekt. Dass die Juden das sind, was sie sind, verdanken sie eigentlich dem Wohlwollen und der Toleranz ihrer GEGNER!
Während der babylonischen Gefangenschaft war ihnen erlaub ihre Religion frei zu leben, woraus sich das Rabinertum entwickelte.
Nach der Zerstörung des Tempels durch die Römer, konnten sie sich weiterhin religiös frei entfalten UND zusätzlich die Infrastruktur des römischen Reiches voll und ohne Einschränkungen nutzen. Platt ausgedrückt: Erst das römische Straßensystem ermöglichte die Emigration der Juden in ganz Europa. Hätten die Babyloner konsequent jede religiöse Tätigkeit verboten und die Römer konsequent eine Mauer um Palestina gezogen, wären die Juden wohl assimiliert.