@ElNonsk
Die Kontrolle von Störvariablen basiert aber immer auf der Annahme der Wiederholbarkeit wissenschaftlicher Experimente.
Nope, sie basiert auf dem jeweiligen Wissensstand (was kommt als Störvariable in Frage, was nicht), d.h. anderen Theorien. Da diese anderen Theorien in der jeweiligen Fachliteratur bezeugt sind,
könnte man von einem historischen Beweis sprechen (siehe weiter unten).
Die Möglichkeit der Änderung des Versuchaufbaus basiert aber auf der Grundlage der Wiederholbarkeit des Versuchs.
Nope, auch dies basiert auf dem jeweiligen Wissensstand.
Einfachere Theorien können auch von den Geschichtswissenschaften entwickelt werden (sonst würden man sich doch gerade in dem Bereich nicht so sehr darüber streiten, wieweit z. B. die alten Hochkulturen waren). Überdies können sich die Geschichtswissenschaften auch auf die Psychologie verlassen (es sei denn du sprichst dieser ab, eine Wissenschaft zu sein *g*).
Mir dünkt, du hast mich missverstanden. Ich habe nicht von einfacheren Theorien im Sinne von Alternativtheorien gesprochen, sondern von einfacheren HILFStheorien. Solche Hilfstheorien dienen dazu, kompliziertere Theorien zu stützen.
Angenommen, es wäre wissenschaftlicher Konsens, dass die Welt nach mechanischen Gesetzmäßigkeiten funktioniert und dass es winzig kleine Teilchen gibt (Atome hat man sie genannt). Weiter angenommen, du wolltest eine Theorie zum Verhalten von Atomen formulieren, hättest aber keine Möglichkeit, Atome zu beobachten. Was tust du? – Nun, du „weißt“, dass die Welt nach mechanischen Gesetzmäßigkeiten funktioniert, demnach ist die Hypothese plausibel, dass sich Atome ähnlich wie Billardkugeln verhalten, nur in viel kleinerem Maßstab. Demnach führst du deine Experimente anstatt mit Atomen mit Billardkugeln durch und schließt aus deinen Ergebnissen, dass Ähnliches auch auf Atome zutrifft und schon hast du eine Theorie zum Verhalten von Atomen. – So etwas meine ich mit Aufstellung und Prüfung von Hilfstheorien.
In den Geschichtswissenschaften kann man keine Hilfstheorien in DIESEM Sinne formulieren (man kann freilich noch immer auf Konsistenz mit anderen etablierten Theorien achten, aber das geht in den Naturwissenschaften auch), denn was wäre etwa eine Hilfstheorie für die Theorie, dass Aristoteles die
Analytica Priora nicht geschrieben hat.
Welche Möglichkeiten der Theoriebewährung meinst du damit (die Wiederholbarkeit ist ja äußerst wackelig)?
Inwiefern ist Wiederholbarkeit äußerst wackelig? Einfache bzw. kostengünstige Experimente kann man so oft wiederholen, wie man lustig ist; nur bei den teuren geht das nicht. Aber gut, gehen wir hypothetisch davon aus, dass Experimente prinzipiell nur ein einziges mal geführt werden: Was sind dann die Vorteile des Experiments?
(a) Wie bereits geschrieben, kann man gezielt überprüfen, wie ein System auf ganz bestimmte Stimuli reagiert und so z.B. zwischen konkurrierenden Theorien entscheiden. Auch kann man so die empirische Adäquatheit von Theorien leicht überprüfen, indem man mittelst der zu prüfenden Theorie eine Prognose zum Ausgang des Experiments macht und schaut, ob sie stimmt.
(b) Man kann, wie ebenfalls schon geschrieben, Störvariablen in gewissem Grade kontrollieren.
(c) Man kann die Echtheit der Ergebnisse einfach nachweisen (was bei historischen Quellen nicht so leicht ist). Bei einem Experiment sind ja nicht nur ein, zwei Wissenschaftler anwesend, die dann ihre Ergebnisse protokollieren, einen Aufsatz verfassen und publizieren und dann darauf hoffen, dass ihnen die wissenschaftliche Welt glaubt, was sie da schreiben (wäre dem so, könnte ich die Parallelisierung mit den Geschichtswissenschaften verstehen). Bei Experimenten, die bahnbrechende Ergebnisse versprechen (und das sind i.d.R. die teuren, die man nur ein einziges mal durchführt), sind unzählige Leute aus den verschiedensten Gebieten und freilich auch die Medien anwesend, die alle bezeugen können, was da vor sich ging. Wenn man nicht gerade ein Fan von Verschwörungstheorien ist, sind so viele Stimmen, sofern sie alle dasselbe aussagen, ein starkes Argument für die Echtheit der Ergebnisse.
All das sind Möglichkeiten der Theoriebewährung, die den Geschichtswissenschaften nicht zugänglich sind. Das liegt freilich auch daran, dass Geschichtswissenschaften rekonstruktiv sind (sie rekonstruieren die Vergangenheit; hier geht es um wahr und falsch), Naturwissenschaften hingegen pragmatisch-konstruktiv (sie konstruieren Modelle zur Beschreibung von Beziehungen in der Welt; ob die Modelle nun – im Sinne der Übereinstimmung mit der Wirklichkeit – wahr sind oder nicht, interessiert nicht, Hauptsache, man kann mit ihnen arbeiten).
All diese Punkte sind zudem Argumente, die dagegen sprechen, dass naturwissenschaftliche „Beweise“ zu historischen werden, wenn man dem Experiment den Vorteil der Wiederholbarkeit nimmt. Die genannten Punkte (a) bis (c) sind u.a. Vorteile des Experiments, die nicht auf Wiederholbarkeit setzen und auch die eben genannte Verschiedenheit der Ansprüche von den Geschichtswissenschaften, wahre Theorien aufzustellen, im Gegensatz zu denjenigen der Naturwissenschaften, anwendbare Theorien zu formulieren, verweisen darauf, dass zwischen beiden Wissenschaftszweigen eine weitaus größere Lücke klafft, als du es darstellst.
Anbei bemerkt gilt alles bis hierher Geschriebene lediglich unter dem Eingeständnis an deine Argumentation, nur einmalige Experimente zu betrachten. Wenn man die Tatsache mit ins Spiel bringt, dass freilich eine ganze Menge Experimente immer und immer wieder durchgeführt werden, verlieren deine ganzen Argumente, die darauf rekurrieren, dass Wiederholbarkeit nicht gegeben ist, ihre Wirkung. (Der Verweis auf die Experimente, die tatsächlich nur einmal durchgeführt wurden, würde dann vermutlich auch nicht mehr viel retten.)
Wenn ich mir aber deine Forderung zu Herzen nehme, verfälsche ich das Ergebnis eines Statistik, weil ich eine bestimmtes Ergebnis erzielen will (und darum geht es ja, wenn wir von „Norm“ sprechen).
Angenommen ich untersuche die Färbung von Schwanfedern. Als Ausgangspunkt nehme ich eine Herde von 100 Tieren. 90 Schwäne haben weiße Schwanzfedern, 10 Schwäne haben schwarze Federn. Nun mache ich eine Stichprobe mit 10 Testschwänen. Deinem Vorschlag nach müsste ich die 10 Tiere mit schwarzen Federn heraussuchen, um dann postwendend zu erklären, dass die Schwanzfedern von Schwänen in der Regel schwarz sind (in diesem Fall sogar zu 100
. In Wirklichkeit besitzen aber nur 10% der Schwäne schwarze Federn, während die übrigen weiß sind. Ich habe also das Ergebnis der Statistik verfälscht, weil ich auf ein bestimmtes Ergebnis „hingearbeitet“ habe.
Diese Fälle entsprechen also nicht der Norm.
Naaa, du machst ja hier genau das, was ich dir die ganze Zeit als Fehler vorwerfe: Du betrachtest eine Versuchsgruppe (die Gesamtheit der Menschen bzw. eine Menge von Schwänen) und untersuchst sie daraufhin auf das Vorhandensein eines Merkmals (emotionale Regung bei Theoriewiderlegung bzw. schwarze Schwanzfeder). Das Ergebnis ist freilich, dass die überwiegende Menge der Probanden diese Merkmal nicht besitzt und man somit schließen kann, dass der Normalfall dem Nichtvorhandensein dieses Merkmals entspricht. Für diese Versuchsanordnung gebe ich dir vollkommen recht. Aber worauf will ich denn mit meiner Bemerkung hinaus, dass du diejenigen Fälle betrachten solltest, bei denen die Leute etwas mit der Theorie zu tun haben, die widerlegt wird? Dass wir die Statistik biegen sollten? Gewiss nicht. Ich will darauf hinaus, dass du die Ausprägung eines weiteren Merkmals betrachten solltest: nämlich die Relation, in der jemand zu einer bestimmten Theorie steht. Das würde dann folgendermaßen aussehen können:
Wir haben die Probanden M1 bis M10, H1 bis H10 und D1 bis D180.
M1 bis M10 sind Mathematiker, H1 bis H10 Historiker und D1 bis D180 sind keine Wissenschaftler.
Jetzt wird eine mathematische Theorie widerlegt. In der Folge sind M1 bis M8 emotional betroffen, den anderen ist es egal.
Was sagt nun deine Statistik dazu? Sie sagt, dass von 200 Fällen gerade einmal 8 betroffen sind von der Widerlegung der mathematischen Theorie. Wir können daraus schließen, dass dem Normalfall Nichtbetroffenheit entspricht.
Was aber sagt meine Statistik? Sie sagt zuerst einmal, dass wir nur die Mathematiker untersuchen dürfen, da alle anderen mit Mathematik sowieso nix am Hut haben („So? Gödel hat die Unvollständigkeit der Mathematik bewiesen? Hmm, kommste mit an Strand?“). D.h. wir erhalten 8 Fälle von 10, in denen die Leute betroffen sind. Aus diesem Ergebnis kann man folgern, dass dem Normalfall Betroffenheit entspricht (ok, 10 Leute sind ein bisserl wenig für solche Schlussfolgerungen, aber ich wollte die Zahlen nicht zu groß machen...ich bin mir aber aufgrund all dessen, was ich so gelesen habe und was man sich intuitiv zusammenreimen kann, ziemlich sicher, dass ein Realversuch ähnliche Ergebnisse liefern wird, wie mein kleines Beispiel hier).
Bleibt noch die Frage, welche Versuchsanordnung wir denn benutzen sollten? Mir dünkt freilich meine Versuchsanordnung die bessere zu sein, denn deine hat etwas von der merkwürdigen Praxis, Leute nach ihrer Meinung zu etwas zu fragen, zu dem sie keine Meinung haben.
Weiters müsste (wie bereits zuvor schrieb) untersucht werden, ob ihre emotionalen Reaktionen wirklich mit den Forschungsergebnissen zu tun haben, oder ob es nicht andere Gründe dafür gibt (Minderwertigkeitskomplexe, usw.).
Dieser Einwand ist mir ehrlich gesagt viel zu ad hoc, um auf ihn einzugehen. Lass uns doch bei Argumenten bleiben, die plausibel scheinen. Wenn das dann nichts hilft, können wir immer noch mit sowas anfangen. Nur soviel dazu: Stelle dir vor, du bastelst drei Jahre lang an irgendetwas herum (irgendetwas, was dir halt Spaß macht). Dann kommt eines Tages der böse Meinereiner vorbei und macht dein Werk in zwei Minuten kaputt, um dir zu zeigen, was mit dir passiert. Wenn du da emotional regungslos bleibst, würde ich wahrscheinlich schreiend davonrennen und „Psycho“ kreischen...oder dich für einen Roboter halten...oder es waren doch die Minderwertigkeitskomplexe
Der pragmatische Standpunkt, den du nennst, geht aber davon aus, dass die Bibel naturwissenschaftliche Aussagen treffen will. Dem ist aber nicht so. Vielmehr soll das Leben Jesu und das Wirken Gottes dargestellt werden. Insofern kommt die Bibel als historischer Beweis weiterhin in Frage.
Auch in Kontexten der Geschichtswissenschaften ist die Bibel wohl eher als Steinbruch denn als eigenständige Theorie etabliert.