"Die innovativsten Spiele der letzten Jahre sind für ihn Die Sims, Black & White und Deer Hunter."
Na da hat sich der gute Mann aber ein paar tolle Beispiele ausgesucht.
Zugegeben, die Sims war wirklich innovativ, nur war der Entwickler Maxis und Altmeister Will Wright, EA hat bloß dass Potential erkannt und das Spiel gepublisht. Danach: EA-Business as usual, zig Addons, Nachfolger, zig Nachfolger-Addons etc. pp.
Black & White war auch innovativ, aber dummerweise schlecht. Und auch nicht von einem Major Label entwickelt, sondern von Lionhead, ein Studio dass hauptsächlich vom Ruf der lebenden Legende Peter Molyneux lebt.
Deer Hunter... Muss ich dazu wirklich etwas sagen? Nur weil es noch nie gemacht wurde, soll man es für innovativ halten, studenlang im hässlichen, virtuellen Wald zu lauern, bis zufällig ein rehähnliches Etwas sich zeigt und es mit einem Schuss niederzustrecken? Ich für meinen Teil nenne das eher strunzdämlich. Zugegeben, hat sich blendend verkauft in Amiland, aber das Moorhuhn dafür bei uns, vor solchen Machwerken die über Nacht zum "Überraschungshit" werden ist eben keine Nation sicher.
Der Vergleich, der hier mit der Musikindustrie gezogen wurde, ist wirklich sehr passend und beschreibt das typische Dilemma vieler Bereiche der Entertainment-Industrie. Wozu eine Revolution wenn man mit geringfügiger Evolution mehr Geld macht und das Flop-Risiko minimiert? Sehr schade für uns, aber so ist die Marktwirtschaft. Leider kann man als einzelner nicht viel daran ändern, denn die breite Masse lässt sich ja auch mit simplem panem et circensis begeistern, und schreckt teilweise sogar vor zuviel Anspruch zurück. Und leider ist es diese Mehrheit der Gelegenheits- und Simpelspiel-Spieler, die den Markt diktiert, nicht die Publisher die dieses Verlangen bloß bedienen.
Innovation leisten sich nur die Wenigsten, eben wegen des finanziellen Risikos. Deshalb ist sie oft auch nur dort zu finden, wo keine Verluste zu erwarten sind, weil es eh kaum Gewinn geben wird: In der Modszene. Im Zuge des "Make something Unreal"-Wettbewerbs sind so viele unterschiedliche und gute Spiele erschienen, die niemand als Vollpreistitel gepublisht hätte. Als Hamster in einer Laufkugel die Nachbarschaft demolieren? In einem Wildwest-Cyperpunk-Setting FPS-Action mit Prince of Persia-Kletter und Sprungeinlagen kombinieren? Schlachtschiff-Duelle in großen, Kanonenbewehrten Zeppelinen? Futuristischer Fußball, in dem man als echter Spieler mitmacht, anstatt wie bei gängigen Fußballspielen von oben auf das Spielfeld zu gucken? Teamkämpfe zweier völlig verschiedener Fraktionen transformierbarer Roboter mit einzigartigen Fähigkeiten (siehe Sig)? Alles da gewesen, und alles hat tierisch Spaß gemacht. Aber kein Publisher hätte sich da ran getraut. Selbst die Gewinner des Wettbewerbs, die die Enigine-Lizenz und somit eine Vermarktungsmöglichkeit gewonnen haben, könnten ihr Spiel ohne Steam nicht an den Mann bringen. Erst als die Nachfrage zu dem Spiel durch die Ankündigung über die Steam-Veröffentlichung stieg, hat sich ein Publisher gefunden, welcher Red Orchestra jetzt auch in die Regale stellt.
A propos Steam, auch die HL2-Modszene hat jede Menge Konzepte in der Planung, die teilweise vor Innovationen strotzen. Gut, die wenigsten davon sind schon spielbar, aber HL1 hat ja schon gezeigt was da noch kommen wird. Man denke mal an den beachtlichen Erfolg von Natural Selection.
Zum Antesten empfiehlt sich z.B. Dystopia, auf den ersten Blick eine Mischung aus CS und TF, entpuppt sich das Projekt als sehr eigenständiges Spiel mit genialen Elementen wie der virtuellen, Tron-ähnlichen Parallelwelt, in die sich Hacker einloggen um Sicherheitssperren zu umgehen etc.
Eternal Silence könnte auch gut werden, Raumschlachten mit offenem Ende, eine Mischung aus Space-Sim, FPS und Echtzeit-Strategie. Oder Plan of Attack, die in Teamshooter-Schlachten Echtzeit-Taktikplanung wie bei den alten Rainbow Six-Teilen einbaut.
Das soll jetzt nicht heißen, dass ich die ebenfalls genannte Theorie der kopierenden Independent-Entwickler unterschreibe, auch hier gibt es immer wieder interessante Sachen. Savage war ein gutes Konzept, leider, wie viele Produkte der Indie-Szene, mangels Bekanntheitsgrad nicht von Erfolg gekrönt. Trotzdem kommt ein Nachfolger. Und hat schonmal jemand von Minions of Mirth gehört, dem "ersten Massively SINGLEplayer Online RPG"? Soll ein echter Geheimtipp sein, leider würde mir für so ein großes Spiel die Zeit fehlen. Auch ein gutes Beispiel sind die Jungs von Project Offset. Ein Programmierer und zwei Grafiker haben in 1 1/2 Jahren eine Engine aus dem Boden gestampft, die selbst die Unreal Engine 3 wieder etwas alt aussehen lässt, und wollen diese benutzen um einen klassenbasierten, epischen Fantasy-Shooter zu entwickeln, mit Schlachten von Schlag eines Herr der Ringe, alles aus der First-Person-Perspektive. Magie, Drachenreiten und Schwertkämpfe inklusive.
Wo zum Geier findet dieser seltsame Mensch also den angesprochenen Innovationsmangel? Ich sehe ihn jedenfalls nicht, und halte auch die Majors wirklich nicht für die treibende Kraft. Erst recht nicht EA, die jede Menge Handwerker anheuern, aber an künstlerisch talentierten Architekten sparen. Schlacht um Mittelerde 2 ist doch mal wieder ein tolles Beispiel: Tolle Grafik, Spitzenanimationen, mehrere Rassen usw, aber eine lieblose, alles andere als mitreißende Story, der die epische Tiefe der Buch- und Filmvorlage total abgeht. Technisch (von den üblichen Termindruck-Bugs mal abgesehen, auch das kennt man ja bereits) perfekt, inhaltlich tote Hose, dem Spiel fehlt irgenwie das gewisse etwas, es hinterlässt den faden Beigeschmack von Verstand ohne Herz.
Oh mann, da wollte ich bloß meine 2 cent zu dem Thema loswerden, und dann sind es 2 € gworden, huiuiui...
Grüße,
Doc Shock