Aber: Problematisch ist ja nicht, wofür sie sich halten. Viel eher ist es der Anspruch, dass andere sie so wahrnehmen sollten, wie sie sich selbst wahrnehmen.
Die Frage ist gar nicht, ob man sie so wahrnimmen muss, wie sie sich selbst wahrnehmen. Weder kann man das rechtlich irgendwie festmachen, noch kann das immer funktionieren, da Wahrnehmung situations- und personenabhängig ist. Das fängt schon beim Charakter und äußerlichen Merkmalen an (Stichwort Sympathie).
Aber jeder hat den Anspruch auf Akzeptanz und freie Entfaltung seiner Person. Das ist der Knackpunkt. Und würde man wirklich erkennen, dass ein Mensch Transgender ist, wenn man es nicht vorher weiß? Ich behaupte: Nein.
Wenn sich dein neuer Arbeitskollege (zwar vlt. klein und schmächtig, aber mit Bart und kurzen Haaren) als Martin vorstellt, wirst du ihn dann als Mann wahrnehmen? Mit Sicherheit, denke ich. Daran wird sich vermutlich auch nichts ändern, wenn er dir später mal erzählt, dass er mal Martina hieß und dir alte Fotos zeigt, da der erste Eindruck sich bereits gefestigt hat. Du hast ihn ja als Mann kennengelernt.
Ich hab in meinem Leben vier Transgender kennengelernt. Und bei keinem davon hab ich gleich erkannt, dass sie mal andere geschlechtsspezifische Vornamen trugen. Die haben mir das alle erst später erzählt, was aber keinen Einfluss auf meine Wahrnehmung hatte, die sich aus dem ersten Eindruck ergab. Ich war erst baff, aber ich kannte die ja bisher nur als Mann, bzw. als Frau.
Mit denen konnte ich mich übrigens super über die Thematik unterhalten. Man kann also seine eigene Wahrnehmung und sein Unverständnis zum Ausdruck bringen, ohne jemandem auf die Füße zu treten, wenn man einfach nur respektvoll bleibt.
Anders kann(!) es natürlich aussehen, wenn es umgekehrt ist. Dass sich deine neue Arbeitskollegin als Martina vorstellt, etliche Zeiten später dann aber als Martin zur Arbeit kommt. Weil man die Person schlicht als Frau kennt, nicht als Mann. Aber hier kommt dann natürlich die Akzeptanz dazu. Und das Recht auf freie Entfaltung. Wenn Martina nun offiziell Martin heißt, hat man natürlich nicht das Recht, ihn weiterhin Martina zu nennen.
Ist ja nicht so, dass diese Menschen sich einfach dafür entscheiden, wie ich mich bei der Bestellung für ne Pizza entscheide. Es ist durchaus im Bereich des Möglichen, dass neurologische Prozesse (Biologie!) für die Diskrepanz zwischen Selbsterleben und dem biologischen Geschlecht verantwortlich sind. Es ist naheliegend, dass äußere Einflüsse dazu führen, ohne dass es Möglichkeiten der Einflussnahme gibt. Die Psychologie und Soziologie schließen hier die Biologie auch gar nicht aus. Im Gegenteil.
Problematisch finde ich es nur, wenn Leute mit Biologie kommen und andere Wissenschaften ausschließen. Abgesehen davon, dass die Ursachen gar nicht geklärt sind, weil die Forschung dies bezüglich noch sehr jung ist. Was wir hier also dazu äußern, sind bestenfalls Vermutungen, auf Basis bestehender Erkenntnisse.
Und zu deiner ziemlich philosophischen Frage, ob wir Körper sind oder haben, würde ich sagen: Beides ist der Fall. Die Identität ist freilich keine im Raum schwebende Entität. Aber sie ist nicht ausschließlich körperlich bedingt, sondern entwickelt sich durch gemachte Erfahrungen, also Einflüsse von außen.