Whataboutism war noch nie gut als Diskussionsgrundlage.
"Die anderen machen es auch, also ist es völlig ok". Das dümmste Argument gegen Missstände, das man haben kann.
Nein, das ist an dieser Stelle alles andere als dumm.
Um einen Missstand als solche zu identifizieren MUSS man sogar vergleichen, was in der Branche üblich ist.
Ich habe zwar keine Einsicht in Gaming-Dev aber sehr wohl in Entwicklungen komplexer Anwendungen in kritischen Kern-Infrastrukturen. Und solche heißen Phasen gibt es immer und überall in der Branche. Ob es nun knappe Deadlines sind, etwas vergessen wurde oder jemand was falsch gemacht hat. Es werden immer einige Leute länger machen müssen. Ausschlaggebend ist, über welchen Zeitraum das passiert.
Die Aussage im Artikel ist einfach mehr als populistisch. Keine Infos darüber, wer wann wieviele Überstunden über welchen Zeitraum gemacht hat. Es wird einfach behauptet, und das wurde hier in den Kommentaren auch schon gemacht, dass es ein ganzes Jahr lang crunch gab. Und das wird dann pauschal einfach mal aufs gesamte Projekt übertragen. Er hat mit 12 Entwicklern gesprochen und erwähnt das nochmal extra, um seine polemische Berichterstattung zu rechtfertigen, lässt die anderen Mitarbeiter aber völlig außen vor; ich habe gelesen, dass da etwa 400 Menschen am Projekt arbeiten. Um objektiv zu berichten, hätte er ne anonyme Umfrage machen sollen. Wenn ich mir aus 400 Leuten genau die 12 raussuche, die Überstunden ohne Ende machen mussten, die anderen aber ganz normal 9-5 arbeiten, relativiert sich diese Aussage eben ganz schnell.
Aber kommen wir mal zum Vergleich. Nehmen wir US-Studios, in denen auch heute noch zum Teil hire&fire Mentalität herrscht. Wo man vom Chef vor versammelter Mannschaft zusammengeschissen wird, wenn man nicht spurt. Wenn man Glück hat, darf man danach noch weiter arbeiten, bei Pech gibts die fristlose Kündigung. Da haben es die Leute bei CDPR deutlich besser, auch mit Überstunden.
Dass es in großen Projekten immer wieder zu Überstunden kommt, habe ich bereits erläutert.
Und ja, wer damit nicht klar kommt, hat den falschen Job. Das Familien-Argument zieht da nicht, wenn ich mich für so einen Job bewerbe, weiß ich nunmal, dass es solche Phasen geben wird. Ein Dev, der gut ist und dem das nicht passt, wird immer was Neues finden. Ein schlechter Dev hat schlicht den falschen Job gewählt. Und das dürfen dann im Zweifel 399 andere Personen ausbaden?
Aber ich komme abschließend nochmal zum Missstand, den Du ansprichst: Wo siehst Du den bei CDPR? Weil es zum Projektende hin längere Phasen gab? Hier wird von Dauerzuständen gesprochen, obwohl keinerlei Infos zu den tatsächlichen Arbeitszeiten vorliegen, obwohl es nur Aussagen von 12 Mitarbeitern gibt. Kein Wort davon, wieviele MA überhaupt davon betroffen sind, kein Wort davon, ob es sich regelmäßig auf andere Teams oder MA verteilt. Mit diesen Infos von einem Missstand zu sprechen, ist mehr als gewagt, um es mal vorsichtig zu formulieren.
Und genau das kotzt mich am ursprünglichen Artikel an; der ist nämlich genau so geschrieben, dass der Eindruck erweckt wird, dass bei CDPR jeder bis zum umfallen ackern muss, die Familie nicht mehr sieht und die Führungsetage lügt, weils ja jetzt doch crunch gibt. Und als wäre das nicht schon schlimm genug, rechtfertigt dieser Depp seinen Artikel nach Gegenwind auch noch, weil er mit 12 Mitarbeitern geredet haben will