Die einzige Wahrheit haben uns unsere Urgroßväter und vielleicht noch die Großväter erzählt.
Aha. Seltsam, daß das, was meine (Ur)Großeltern erzählen, mit dem "Müll" in den Geschichtsbüchern übereinstimmt ...:
Hitlers Diktatur währte jetzt schon 11 Jahre, der Krieg über 4 Jahre und die Repressalien wurden immer schlimmer, die Verluste bei den Rückzügen an den Kriegsfronten immer größer. Wir lebten nie ohne Angst, sahen uns um, ob jemand mithörte, wenn wir uns etwas erzählten und waren mißtrauisch, denn der beste Freund konnte ja ein Nazispitzel sein. Wenn Vater uns von Mißhandlungen kirchlicher und jüdischer Menschen durch die Partei berichtete, stülpten wir einen Kaffeewärmer über das Telefon, damit auch ja nichts mitgehört werden könnte. Nachts wachten wir bei jedem Geräusch auf: Kam da nicht die SS, um Vater heimlich abzuholen? Es war ja alles verboten.
Immer mehr Anordnungen wurden von Hitler und seinen Helfern erlassen. Es gab noch weniger Lebensmittel, und wer keinen Garten hatte, war schlimm dran. Wer konnte, machte Tauschgeschäfte: Eier gegen eine Rolle Nähgarn, denn auch Textilien waren knapp. Für Kleidung und Schuhe brauchte man Be-zugsscheine. Ich weiß noch, wie glücklich ich über ein Stückchen Stoff war, das ich geschenkt bekam, aus dem ich mir ein Taschentuch nähen konnte! Tempo gab‘s ja noch nicht. Oder man tauschte ein Messer gegen ein Stück gute Seife, denn die Kriegsseife bestand aus viel Sand und schäumte nicht. Parteigenossen gingen auch in die Häuser und befahlen: „In diese beiden Zimmer müssen Sie Bombengeschädigte aufnehmen, Sie haben zu viel Raum.“ Auch in unserem Pfarrhaus bekamen wir eine solche Einquartierung.
Das rege kirchliche Leben in unserer Gemeinde war dem Ortsgruppenleiter ein Ärgernis. Um einen Grund für Vaters Verhaftung zu finden, wurden Katechumenen und Konfirmanden ausgefragt nach verräterischen Äußerungen im Unterricht. Ich war zu Hause, als Vater am 3. April 1944 einen Anruf aus Bielefeld bekam, er solle sich am 6. April bei der geheimen Staatspolizei dort wegen „einiger Auskünfte“ melden. Er machte sich keine Sorgen, da er immer genauestens darauf geachtet hatte, nichts gegen die Partei zu sagen. Er hatte allerdings im Konfirmandenunterricht erklärt, Gebete seien in einem Krieg wichtiger als Kanonen - und Christus sei der Herr der Welt. Wegen dieser Sätze wurde er bei seiner Ankunft in Bielefeld nach einer kurzen Befragung ohne Prozeß gleich ins Gefängnis gesteckt.
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(Bericht aus dem Gefängnis)
Wenn im Ganzen die Tage auch still verliefen, so war es doch immer ganz still, wenn am Donnerstag die "Mordkommission" kam, um in dem Plötzenseer Schlachthaus die Opfer des Wüterichs zu töten. Unten in der Todeszelle saßen sie. Ich sah einmal aus meinem Fenster auf den Hof, wo das Bluthaus stand. Da kamen vier Männer, den Schlapphut leger auf dem Kopf, die Zigarette im Maul: das waren die Henker und juristischen Beihelfer. Ein grausiger Anblick. Als nachher das Gefängnis geräumt wurde, weil die Russen kamen, ist der Direktor in manche Zelle gegangen und hat gejammert, er habe ja nichts gewußt, und nichts gewollt usw. Er ist aber wohl kaum mit dem Leben davon gekommen.
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(Bericht aus der Schulzeit)
Fast alle waren in der HJ, die Dümmsten waren die größten Schreier, und sie verstanden es prima, meine Ehre zu vernichten.
Am liebsten wäre ich an den hohen Feiertagen lieber zu Haus geblieben, denn wenn alle auf dem Schulhof antraten, wurde kommandiert: „Alle Nicht-Uniformierten raustreten!" und dann mussten wir vor die ganze braune Masse treten und wurden ausgepfiffen und ausgebuht.
Die Menge der Nichtuniformierten verkleinerte sich von Mal zu Mal, ich war unter den Letzten, die ausgebrüllt wurden.
Und ja,
auch:
Nun kam der Tag der Kapitulation von Berlin: der 02.05. Welch ein Volk von wüsten russischen Soldaten zog da plündernd, johlend, besoffen durch die Straßen und die Häuser. Furchtbar war das Schicksal so vieler Frauen und Mädchen.
Aber dadurch werden die Taten der Nazis ja nicht besser oder verständlicher.