[...]Was das 5. Gebot genauerhin meint, das ergibt sich durch einen Blick auf das
in seiner biblischen Verwendung ansonsten seltene und nur noch in den Asylbestimmungen
des Pentateuchs vorkommende Verbum „rasah“.
Das hebräische „Rasah“ meint ursprünglich nur ungesetzliches, willkürliches Töten im
Sinne des „Mordens“, also des Tötens im Sinn einer besonders heimtückischen
Gewalttat, die ein wehrloses Opfer – etwa im Zusammenhang mit der Institution
der Blutrache9 - trifft.
Dagegen wird „rasah“ nicht gebraucht beim Töten von Tieren,
bei der Vernichtung menschlichen Lebens im Krieg oder bei Fällen der
Notwehr ebenso wenig wie dann, wenn Gott einen Menschen sterben lässt.
Folglich schließt das Gebot auch nicht das Töten im Krieg und in Notwehr wie
auch die durch die Gemeinschaft angeordnete Tötung, wie sie sich in der Vollstreckung
der Todesstrafe manifestiert, nicht aus. Was die Todesstrafe angeht,
so soll menschliches (leibliches) Leben – ähnlich wie in der altorientalischen
Umwelt – gerade durch die Verhängung dieser schärfsten rechtlichen Sanktion
geschützt werden10. Das 5. Gebot, so könnte man zusammenfassen, verbietet
das Morden im Sinne eines sinnlosen Tötens und gebietet gleichzeitig den
Schutz menschlichen Lebens – beides in einer generellen Weise.[...]