Frage & Antwort, Nr. 20
Wie träumen Blinde?
Wie oder was träumt ein Mensch, der von Geburt an blind ist - also noch nie irgendetwas gesehen hat? (fragt Petra Fischer aus La Vega)
Bis
vor nicht allzu langer Zeit galt es als "feste Lehrmeinung", dass von
Geburt an blinde Personen keine "optischen" Träume haben. Die
Wissenschaft ging davon aus, dass bei solchen Menschen in den Träumen
vielmehr alle anderen Sinneseindrücke verarbeitet werden - Riechen,
Hören, Tasten. Allerdings handelt es sich dabei durchaus um Träume mit
Handlungen, in denen der Träumer selbst und auch andere Personen
agieren, in denen der Träumer Gefühle verspürt. Also ganz "normale"
Träume, abgesehen vom Fehlen optischer Eindrücke.
"In letzter
Zeit ist man der Frage etwas gründlicher nachgegangen", erklärt Prof.
Michael Wiegand, Leiter des Schlafmedizinischen Zentrums am Klinikum
rechts der Isar der Technischen Universität München. Erstaunt stellten
die Wissenschaftler fest, dass zwar nicht alle, aber manche Blinde
durchaus eine Art optischer Wahrnehmung im Traum haben. Wiegand hat
einen Beweis: "Sie sind in der Lage, Personen oder Gegenstände, die im
Traum vorgekommen sind, zu zeichnen - wenn auch einigermaßen ungelenk."
Zugleich konnten die Mediziner anhand der im Schlaflabor
aufgezeichneten Hirnströme erkennen, dass die für die Verarbeitung
optischer Sinneseindrücke zuständigen Bereiche der Hirnrinde während
dieser Träume aktiv sind.
"Das bedeutet", erklärt Wiegand, "dass
von Geburt an blinde Personen über die anderen Sinneskanäle so viele
Informationen über die Beschaffenheit, äußere Form etc. von
Gegenständen und Personen erhalten, dass das Gehirn selbständig in der
Lage ist, daraus quasi einen Seheindruck zu 'produzieren' und auch als
Zeichnung wiederzugeben."
Manche Blinde berichten in Gesprächen
auch über so etwas wie Farbeindrücke. Sie sind jedoch nicht fähig,
diese zu erklären oder gar darzustellen - verständlicherweise. Mit
unserem Farbspektrum hat das wahrscheinlich wenig zu tun, meint der
Facharzt für Psychiatrie und Psychotherapie: "Offenbar kann das Gehirn
den selbstproduzierten 'Seheindrücken' auch selbstgemachte Farben
hinzufügen - die vermutlich ganz 'privater' Natur sind und nichts zu
tun haben mit den Farben, die die Dinge in der 'realen Welt' haben