Für viele scheint das immer noch der absolute Traumberuf zu sein aber wie sieht es in der Realität aus?
In der Realität ist ein Videospiel ein Produkt und ein Spieleentwickler ein Unternehmen wie jedes andere. Manche kleiner, manche größer. Manche besser geführt, manche schlechter. Manche weniger erfolgreich, manche mehr. "Den Job" in der Branche gibt es nicht und bei jedem Unternehmen, das ein Produkt vertreibt, sieht man in der Regel (je nach Größe) die gleichen Positionen. Natürlich neben den Videospiel-spezifischen Positionen wie Softwareentwickler mit Schwerpunkt Game Design. Ansonsten gibt es Webentwickler, Marketing, Grafikdesigner, Qualitätssicherung, Videoeditoren, Buchhaltung usw.
Man darf auch nicht den Fehler machen, jeden Spieleentwickler mit denen gleichzusetzen, die immer in den Medien sind. Da entsteht ein sehr einheitliches Bild, das natürlich nicht die Realität sämtlicher Studios wiederspiegelt. Nicht in allen gibt es wöchentlich unbezahlte Überstunden, übermäßige Crunch-Times, etablierten Sexismus, übermäßig invasive Publisher und den ganzen Kram, den man immer so von der (gefühlt) Hand voll bekannter Namen hört. Eine Seltenheit ist es nicht, aber auch nicht Standard. Genauso gibt es im Consulting und in Werbeagenturen teils drakonische Zustände, deshalb existieren gefühlt 10.000 Satire-Accounts of Instagram mit Depression-Meme-Content, aber es sind halt doch eben nicht alle so.
Meine persönliche Erfahrung: Ich bin seit vergangenem Jahr nach vier Jahren Werbeagentur bei einem deutschen Spieleentwickler als Content Marketing Manager gelandet und wie bei jeder anderen Firma ist es in meiner Position natürlich wichtig das Produkt zu kennen, aber noch wichtiger, Marketingtools korrekt darauf zugeschnitten anzuwenden. Letztendlich macht es im Großen und Ganzen wenig unterschied, ob ich jetzt Content Marketing für ein Videospiel, ein Wellnesshotel oder die neue Modellbaureihe eines Traktorherstellers mache. Man muss sich in die Materie einarbeiten und dann besagte Tools auf das Produkt anwenden. Videospiel-Affinität und Branchenkenntnisse sind natürlich von Vorteil. Genauso muss beispielsweise ein 3D-Artist ein Objekt für ein Spiel genauso kreieren wie ein 3D-Modell für ein anderes Medium, das vergleichbar, aber kein Spiel ist.
Das romantisierte Bild von leidenschaftlichen Entwicklern, die ihr Traumspiel entwickeln, ist nicht nur veraltet, sondern war, behaupte ich jetzt mal, auch schon in den Anfängen der Branche nicht so, wie wir es immer noch gezeichnet wird. Mangels Internet und sozialer Medien war und ist der
Survivorship Bias umso stärker ausgeprägt und man hatte den Vorteil der Pioniere, die ihre Freiheiten hatten, bevor bestimmte Systeme etabliert wurden, weil es eben eine Industrie ist und kein Traumberuf-Wunderland. Es gibt natürlich immer noch Einzelfälle, in denen Entwickler mit Leidenschaft ihr Traumspiel entwickeln (zumindest so gut sie können), sei es durch Kickstarter und Early Access oder weil einzelne Entscheidungsträger einen guten Tag hatten.
Unter'm Strich sollte man sich bewusst machen, dass ein Job in der Spielebranche (dazu zählt auch der erweitere Kosmos mit dem Gaming-Journalismus) ein Job ist, für den man entsprechende Skills über die Leidenschaft für's Medium hinaus mitbringen muss. Oder sollte. Und dann muss man eben auch das passende Unternehmen finden, wie in jedem anderen Job auch. Spieleentwicklung ist nicht nur Programmierung für ein Studio unter EA, Ubisoft und Co. Auch kleinere, unabhängigere Studios, die Mobile Games, Browser Games, Education Games und Co. entwickeln sind Spielebranche und die Jobs in ihrer Tätigkeit nicht unbedingt großartig anders. Eher gefühlt, wenn man seinen Namen lieber in einem Fifa als Mobile-Kicker lesen will. Dementsprechend bringt man vielleicht mehr oder weniger Leidenschaft mit, aber für Leidenschaft wird man in der Regel nicht bezahlt.
P.S.: Und ganz allgemein, immer wenn man sein Hobby zum Beruf macht, besteht dabei natürlich auch das altbekannte Risiko, die ganze Sache zu entzaubern: Viele Köche haben nach Feierabend im Restaurant keine Lust mehr, Zuhause zu kochen. Viele aus der Gamesbranche haben keine Lust mehr auf Zocken nach Feierabend. Ist natürlich auch nicht bei allen so, aber bei doch schon einigen und das Risiko besteht immer. Unter anderem auch abhängig von der konkreten Position des Einzelnen.