RedDragon20
Spiele-Professor/in
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(D)eat(h) St(r)anding: Warum es (mir) Spaß macht
Grüß Gott,
Death Stranding war schon vor Release in aller Munde und Kojima hatte eine PR-Kampagne gefahren, die in mir zwar Interesse, aber keinerlei Euphorie weckte. "Ich weiß gar nicht, was das sein soll" hieß es nicht selten seitens der Schauspieler, wie etwa Mads Mikkelson, oder seitens Kojima selbst. Dabei stellte sich mir unweigerlich die Frage: Wenn der Kopf hinter dem Projekt nicht weiß, was das werden soll, wie soll daraus ein gutes Produkt entstehen, in dem alle Elemente ineinander greifen und logisch aufeinander aufgebaut sind?
Nachdem dann auch erste Gameplayvideos auftauchten, die zwar eine hübsche Grafik und einen virtuellen Norman Reedus in Bewegung zeigten, wurden meine Zweifel nur größer und so wie viele andere auch dachte ich mir: "Ist das ein Walking Simulator? Wie soll man daraus eine interessante Geschichte bauen? Wie soll sowas Spaß machen?" Sogar nachdem ich mir das Spiel am Ende doch kaufte und die Neugierde aufgrund der gespaltenen Meinungen siegte, blieben Zweifel erhalten.
Zweifel, die allerdings nahezu restlos weg gewischt wurden. Kojima und sein Team haben es doch tatsächlich geschafft, den DHL-Postboten-Simulator aka Death Stranding spaßig und motivierend zu gestalten! Wenn auch nicht ohne Mängel.
Da ich das Spiel noch nicht durch habe, handelt es sich hierbei nicht um einen Test, sondern um ein Zwischenfazit, ein erster Eindruck nach 20 Spielstunden. Ich werde mich auch möglichst kurz halten und mich auf die wesentlichen Aspekte des Spiels beschränken.
Worum geht es?
Kurz und bündig: Um den Wiederaufbau Amerikas.
Protagonist ist Sam (dargestellt durch Norman Reedus (Der blutige Pfad Gottes, The Walking Dead, Blade II usw.)), seines Zeichens futuristischer DHL...äh...selbstständig agierender Bote. Zu Beginn der Story nimmt Sam einen Lieferauftrag für eine Leiche an, die entsorgt werden muss. Im Zuge dieser Aufgabe geht so ziemlich alles schief, was schief gehen kann. Die sogenannten "GDs" (Gestrandete Dinge), schwarze Geisterwesen, greifen an und holen sich einen seiner beiden Weggefährten, was einen sogenannten "Leersturz" auslöst. Dadurch entsteht ein gewaltiger Krater mit einem gewaltigen Hand/Fußabdruck. Sam findet sich wenig später in einem weißen Raum wieder. Dort trifft er auf "Dead Man" (Guillermo del Toro), der ihm futuristische Handschellen gibt, mit der Sam sich orientieren und über die er überwacht wird. Anschließend geht es auch gleich weiter und Sam soll Morphin zur Präsidentin Amerikas liefern, durch die er seine bisher größte Aufgabe bekommt: Die UCA (United Cities of America) vernetzen und möglichst alle Bewohner Amerikas ins Boot holen.
Der Plot mag einfach klingen. Aber die Story gibt sich sowohl abgedreht, als auch von Anfang an interessant und komplex. Death Stranding ist ein Road Trip, in dem man durch ganz Amerika reist und Knotenpunkte für die UCA frei schaltet. dabei immer mehr über die sogenannten GDs und den "gestrandeten Tod" herausfindet. So ziemlich jedes Gameplayelement wird zudem durch die Hauptgeschichte erklärt, durch Emails oder ganz simpel und klassisch durch Itembeschreibungen.
Allerdings schwankt Death Stranding, wie man es von Kojima ja eigentlich kennt, zwischen komplett albern, absurd und Ernsthaftigkeit. Darauf muss man sich einlassen können. Und auch die "Make America great again"-Nummer ist etwas fragwürdig. Allerdings findet das auch der Protagonist Sam, der das ganze äußerst kritisch sieht und seinen Job nicht für Amerika, sondern für eine bestimmte Person erledigt.
Die Geschichte und die Welt ist trotz allem definitiv von Beginn an eine der großen Stärken des Spiels und sollte besser nicht gespoilert werden.
Und das Gameplay?
Kernelement ist das Ausliefern von Gütern. Daran ändert sich nichts und das ist die Hauptaufgabe, das ganze Spiel über. Wo in anderen Games hauptsächlich geballert wird, wird in Death Stranding geliefert. Man nimmt die Fracht an Terminals an, bereitet sich vor, läuft irgendwo hin und liefert Fracht aus. Wer das Gleichgewicht verliert, muss nur zwei Tasten drücken und das war's. Das ist der Kern, den man schon aus zig Videos kennt und zu dem man wohl kaum allzu viele Worte verlieren braucht.
Wer sich jetzt denkt "Laaaangweilig!" denkt, ist aber recht schief gewickelt. Das Spiel verlangt dem Spieler zu Beginn in der Tat jede Menge Geduld ab. Der Prolog ist vollgestopft mit Cutscenes und bis zu einem gewissen Punkt spielt sich das Spiel in der Tat eher wie ein Walkingsimulator, bis man schließlich immer mehr Mechaniken frei schaltet und immer mehr Möglichkeiten an die Hand bekommt, seinen Botengang zu absolvieren. Der Weg ist das Ziel und hier zeigt sich Death Stranding außerordentlich gut durchdacht und motivierend.
Abwechslung im augenscheinlich schnöden Alltag eines Lieferdienstes bringen unter anderem die besagten "GDs". Diese sollte man gerade zu Beginn besser meiden und die Luft buchstäblich anhalten, wenn sie in der Nähe sind. Erwischen sie einen, ziehen sie Sam in eine andere Dimension (?) und dort muss man einen dicken GD bekämpfen. Das erweist sich insbesondere zu Beginn als schier unmöglich, da man schlicht nicht die nötigen Mittel hat, um GDs zu bekämpfen. Das ändert sich allerdings recht bald, wenn man Blutgranaten zur Hand bekommt. Hat man diese aber, sind die GDs im Endeffekt so gut wie keine Bedrohung mehr und der Schwierigkeitsgrad dieser Konflikte nimmt rapide ab. Schade.
Man sollte nur aufpassen, dass man nicht allzu verschwenderisch mit seinen Blutgranaten umgeht, da man, bedingt durch das Gewicht der Fracht, nur eine begrenzte Anzahl mitnehmen kann und sollte. Leid
Im Zuge der GDs kommt auch das BB (Bridge Baby) zum Einsatz. Ein BB (Bridge Baby) ist ein lebendes Baby, das der toten Mutter entnommen und in einen Behälter gelegt wurde, das eine Gebärmutter simulieren soll. BBs fungieren als Sensor, um GDs zu lokalisieren. Das BB des Spielers hat einen Stresslevel und erhöht sich dieser, fängt der kleine Fratz zu weinen an und muss beruhigt werden, indem BB in den Armen wiegt. Das geschieht ganz simpel durch Tastendruck. Und keine Sorge: Die Interaktion mit BB hält sich eher in Grenzen. Man muss nicht immer wieder schauen, wie es dem Baby geht und sich immer wieder drum kümmern. Lediglich, wenn es zu schreien anfängt, sollte man es wieder beruhigen, da sonst der Stresslevel so weit steigt, dass BB sich komplett zurück zieht und nicht mehr funktionsfähig ist. Die Folge: Man kann die GDs nicht mehr lokalisieren.
Neben den GDs gibt es als Gegner auch die MULEs. Menschen, die es sich auf die Fahne geschrieben haben, herum streifenden Boten die Fracht abzunehmen und selbst zu behalten. Manchmal zu Fuß, manchmal mit Truck kommen sie daher und wenn sie den Spieler lokalisiert haben, kriegt man in der Regel kaum einen einzelnen vor die Faust, sondern eine ganze Gruppe. Und dann wird's knifflig, da man keine Möglichkeit hat, sie im Nahkampf schnell auszuschalten, sofern man keine entsprechende Waffe zur Hand hat. Erwischen sie einen und bewegt man sich zu weit von der eigenen Fracht weg, kann es durchaus vorkommen, dass man so seine Fracht verliert. Die MULEs besitzen übrigens ebenfalls einen Sensor, mit dem sie den Spieler orten können. Ist das geschehen, kann man entweder in den Nahkampf übergehen und die Jungs k.o. hauen, oder aber man flüchtet von der letzten den MULEs bekannten Position und versteckt sich so gut es geht. Auch hinterrücks k.o. hauen ist möglich. Allerdings stellen die MULEs früher oder später die größere Bedrohung im Vergleich zu den eigentlich sehr gefährlich präsentierten GDs dar.
GDs und MULEs als Gegner. Aber was ist mit der Spielwelt? Die gibt sich, wenn auch wunderschön anzusehen, mindestens ebenso tückisch, wie besagte Feinde. Die Spielwelt ist übrigens keine durchgängige Open World, sondern in einzelne große Gebiete eingeteilt. Sehr große Gebiete. Zum Glück bekommt man relativ früh das erste Fahrzeug zur Hand, mit dem sich Wege wesentlich flotter bestreiten lassen...nur nicht einfacher. Nicht selten passiert es, dass man besser zu Fuß gehen sollte, da man manche Bereiche mit dem Fahrzeug gar nicht oder nur schwer überqueren kann. Das bedeutet auch, dass man tunlichst darauf achten sollte, was man sich an Fracht und Material mitnimmt.
Einsam und verlassen kommt Amerika daher...und sieht übrigens merkwürdigerweise aus, wie Island...bietet aber jede Menge Hindernisse. Berge, steile Hänge, unwegsames Gelände (das man mit dem Fahrzeug nur extrem schwer befahren kann) oder Gewässer. Alles in der Spielwelt stellt ein potentielles Hindernis dar, das es zu bewältigen gilt. Für den Spieler heißt dies: Er muss sich mit der Welt vertraut machen. Manchmal scheint ein Weg einfach und leicht zu bewältigen, nur um dann festzustellen, dass er doch mit größeren Hindernissen gespickt ist, als man dachte. Kenntnisse über die verschiedensten Gebiete und Wege sind dringend nötig, um die Fracht unfallfrei und schnellstmöglich zum Ziel zu bringen. Die Karte mag zwar einen groben (und damit hilfreichen) Überblick geben, aber die Gemeinheiten, die einem die Spielwelt entgegen wirft, muss man selbst kennenlernen.
Ganz besonders vorsichtig sollte man dem Zeitregen gegenüber stehen. Ein Regen, der mal eben die Zeit vorspult und alles altern lässt, von Mensch bis Maschine. Dadurch erleidet die Fracht ebenso Stück für Stück Schaden, wie Fahrzeuge oder errichtete Gebäude und Brücken. Fairerweise muss man aber nicht andauernd aufpassen, dass nichts kaputt geht. Selbst nach zig Stunden im Regen ist alles noch so weit in Ordnung. Dennoch sollte man aufpassen, da andere Hindernisse zusätzlich für Schaden an der Fracht und an Fahrzeugen sorgen können.
Um all diese Hindernisse zu überwinden, gibt das Spiel dem Spieler nach und nach allerhand Möglichkeiten an die Hand. Angefangen von Kletterausrüstung, über Leitern, bis hin zur Möglichkeit, später Brücken und sogar Straßen zu bauen, um sich die Wege zu erleichtern. Dazu kommen Trucks und Motorräder als Fahrzeuge und Mittel, um die eigene Belastung zu verringern und das Gewicht, das getragen werden kann, zu erhöhen.
Der Online-Modus
Der Online-Modus des Spiels ist herrlich innovativ und essenzieller Bestandteil des Spiels. Statt auf Wettkampf zu basieren, basiert er darauf, einander zu helfen. Dies geschieht, indem die Spieler gemeinsam Straßen durch gesammelte Materialien bauen, Brücken bauen, Items in Gemeimschaftskästen da lassen oder Aufträge für andere Spieler erledigen. Die Möglichkeiten sind äußerst vielfältig und vor allem nützlich. So wird auch die eigene Welt Stück für Stück neu aufgebaut.
Die Spieler bauen Amerika gemeinsam wieder auf und helfen einander. Sehr schön!
Leider ist es aber auch möglich, Schilder aufzustellen. Warum "leider"? Zwar sind die oft äußerst hilfreich, da Spieler so vor besonders gefährlichen Gegenden warnen, aber manche Schilder sind selbst für Kojima-Verhältnisse zu albern und wirken völlig fehl am Platz. Dadurch leidet die ansonsten herrlich Atmosphäre des Spiels massiv. Weniger wäre mehr gewesen.
Trotzdem ist der Multiplayer hervorragend und ich nutze ihn sehr gerne. Bleibt nur die Frage, wie er sich entwickelt und was das Entwicklerteam tun wird, wenn die meisten das Spiel durch haben und/oder nicht mehr spielen. Der MP wird früher oder später verwaist sein. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Letztlich...
...bleibt zu sagen, dass Death Stranding ein sehr gutes Spiel ist. Es macht überraschend viel Spaß, die beste Route zu finden, den GDs und MULEs auszuweichen und die Geschichte zu verfolgen. Es macht Spaß, anderen Spielern zu helfen und gemeinsam Bauten zu errichten. Seltsame Charaktere, kleine Albernheiten und Norman Reedus geben sich hier die Hand und ergeben einen herrlich abgedrehten, aber auch ernsthaften und zutiefst philosophischen Mix. Die Action ist sehr rar gesäht und das Spiel geht einen erfrischend ruhigen, entspannten Weg. Und obwohl das Kerngameplay sehr banal ist, besticht das Spiel doch durch einen gewissen Anspruch und überraschender Abwechslung.
Die Grafik ist extrem geil und wenn auf den Reisen durch die schicken Landschaften die ruhigen Klänge der Songs von Low Roar und anderen ertönen, will man sich am liebsten einfach nur hinsetzen (oder einfach nur rum fahren) und dieses audiovisuelle Meisterwerk auf sich wirken lassen. Spätestens hier kann man Death Stranding den Kunststatus guten Gewissens anerkennen.
Death Stranding ist innovativ und speziell. Es bewegt sich quasi völlig abseits des Mainstream-Einheitsbrei. Und es verlangt Geduld vom Spieler. Aber genau deswegen ist es nicht jedermanns Sache. Das kann ich gut verstehen.In dem, was es sein will und dem Spieler bietet, ist Death Stranding ein Meisterwerk und hervorragend. Und ich finde, dass man dem Spiel unrecht tut, wenn man es nur anhand von Let's Plays beurteilt. Aber trotzdem will ich hier keine Kaufempfehlung aussprechen.
Dennoch: Ja, ich feiere Death Stranding wie kaum ein anderes Spiel der letzten Jahre, trotz genannter Mängel, die sich aber (hoffentlich) durch Patches ausbügeln lassen dürften.
Grüß Gott,
Death Stranding war schon vor Release in aller Munde und Kojima hatte eine PR-Kampagne gefahren, die in mir zwar Interesse, aber keinerlei Euphorie weckte. "Ich weiß gar nicht, was das sein soll" hieß es nicht selten seitens der Schauspieler, wie etwa Mads Mikkelson, oder seitens Kojima selbst. Dabei stellte sich mir unweigerlich die Frage: Wenn der Kopf hinter dem Projekt nicht weiß, was das werden soll, wie soll daraus ein gutes Produkt entstehen, in dem alle Elemente ineinander greifen und logisch aufeinander aufgebaut sind?
Nachdem dann auch erste Gameplayvideos auftauchten, die zwar eine hübsche Grafik und einen virtuellen Norman Reedus in Bewegung zeigten, wurden meine Zweifel nur größer und so wie viele andere auch dachte ich mir: "Ist das ein Walking Simulator? Wie soll man daraus eine interessante Geschichte bauen? Wie soll sowas Spaß machen?" Sogar nachdem ich mir das Spiel am Ende doch kaufte und die Neugierde aufgrund der gespaltenen Meinungen siegte, blieben Zweifel erhalten.
Zweifel, die allerdings nahezu restlos weg gewischt wurden. Kojima und sein Team haben es doch tatsächlich geschafft, den DHL-Postboten-Simulator aka Death Stranding spaßig und motivierend zu gestalten! Wenn auch nicht ohne Mängel.
Da ich das Spiel noch nicht durch habe, handelt es sich hierbei nicht um einen Test, sondern um ein Zwischenfazit, ein erster Eindruck nach 20 Spielstunden. Ich werde mich auch möglichst kurz halten und mich auf die wesentlichen Aspekte des Spiels beschränken.
Worum geht es?
Kurz und bündig: Um den Wiederaufbau Amerikas.
Protagonist ist Sam (dargestellt durch Norman Reedus (Der blutige Pfad Gottes, The Walking Dead, Blade II usw.)), seines Zeichens futuristischer DHL...äh...selbstständig agierender Bote. Zu Beginn der Story nimmt Sam einen Lieferauftrag für eine Leiche an, die entsorgt werden muss. Im Zuge dieser Aufgabe geht so ziemlich alles schief, was schief gehen kann. Die sogenannten "GDs" (Gestrandete Dinge), schwarze Geisterwesen, greifen an und holen sich einen seiner beiden Weggefährten, was einen sogenannten "Leersturz" auslöst. Dadurch entsteht ein gewaltiger Krater mit einem gewaltigen Hand/Fußabdruck. Sam findet sich wenig später in einem weißen Raum wieder. Dort trifft er auf "Dead Man" (Guillermo del Toro), der ihm futuristische Handschellen gibt, mit der Sam sich orientieren und über die er überwacht wird. Anschließend geht es auch gleich weiter und Sam soll Morphin zur Präsidentin Amerikas liefern, durch die er seine bisher größte Aufgabe bekommt: Die UCA (United Cities of America) vernetzen und möglichst alle Bewohner Amerikas ins Boot holen.
Der Plot mag einfach klingen. Aber die Story gibt sich sowohl abgedreht, als auch von Anfang an interessant und komplex. Death Stranding ist ein Road Trip, in dem man durch ganz Amerika reist und Knotenpunkte für die UCA frei schaltet. dabei immer mehr über die sogenannten GDs und den "gestrandeten Tod" herausfindet. So ziemlich jedes Gameplayelement wird zudem durch die Hauptgeschichte erklärt, durch Emails oder ganz simpel und klassisch durch Itembeschreibungen.
Allerdings schwankt Death Stranding, wie man es von Kojima ja eigentlich kennt, zwischen komplett albern, absurd und Ernsthaftigkeit. Darauf muss man sich einlassen können. Und auch die "Make America great again"-Nummer ist etwas fragwürdig. Allerdings findet das auch der Protagonist Sam, der das ganze äußerst kritisch sieht und seinen Job nicht für Amerika, sondern für eine bestimmte Person erledigt.
Die Geschichte und die Welt ist trotz allem definitiv von Beginn an eine der großen Stärken des Spiels und sollte besser nicht gespoilert werden.
Und das Gameplay?
Kernelement ist das Ausliefern von Gütern. Daran ändert sich nichts und das ist die Hauptaufgabe, das ganze Spiel über. Wo in anderen Games hauptsächlich geballert wird, wird in Death Stranding geliefert. Man nimmt die Fracht an Terminals an, bereitet sich vor, läuft irgendwo hin und liefert Fracht aus. Wer das Gleichgewicht verliert, muss nur zwei Tasten drücken und das war's. Das ist der Kern, den man schon aus zig Videos kennt und zu dem man wohl kaum allzu viele Worte verlieren braucht.
Wer sich jetzt denkt "Laaaangweilig!" denkt, ist aber recht schief gewickelt. Das Spiel verlangt dem Spieler zu Beginn in der Tat jede Menge Geduld ab. Der Prolog ist vollgestopft mit Cutscenes und bis zu einem gewissen Punkt spielt sich das Spiel in der Tat eher wie ein Walkingsimulator, bis man schließlich immer mehr Mechaniken frei schaltet und immer mehr Möglichkeiten an die Hand bekommt, seinen Botengang zu absolvieren. Der Weg ist das Ziel und hier zeigt sich Death Stranding außerordentlich gut durchdacht und motivierend.
Abwechslung im augenscheinlich schnöden Alltag eines Lieferdienstes bringen unter anderem die besagten "GDs". Diese sollte man gerade zu Beginn besser meiden und die Luft buchstäblich anhalten, wenn sie in der Nähe sind. Erwischen sie einen, ziehen sie Sam in eine andere Dimension (?) und dort muss man einen dicken GD bekämpfen. Das erweist sich insbesondere zu Beginn als schier unmöglich, da man schlicht nicht die nötigen Mittel hat, um GDs zu bekämpfen. Das ändert sich allerdings recht bald, wenn man Blutgranaten zur Hand bekommt. Hat man diese aber, sind die GDs im Endeffekt so gut wie keine Bedrohung mehr und der Schwierigkeitsgrad dieser Konflikte nimmt rapide ab. Schade.
Man sollte nur aufpassen, dass man nicht allzu verschwenderisch mit seinen Blutgranaten umgeht, da man, bedingt durch das Gewicht der Fracht, nur eine begrenzte Anzahl mitnehmen kann und sollte. Leid
Im Zuge der GDs kommt auch das BB (Bridge Baby) zum Einsatz. Ein BB (Bridge Baby) ist ein lebendes Baby, das der toten Mutter entnommen und in einen Behälter gelegt wurde, das eine Gebärmutter simulieren soll. BBs fungieren als Sensor, um GDs zu lokalisieren. Das BB des Spielers hat einen Stresslevel und erhöht sich dieser, fängt der kleine Fratz zu weinen an und muss beruhigt werden, indem BB in den Armen wiegt. Das geschieht ganz simpel durch Tastendruck. Und keine Sorge: Die Interaktion mit BB hält sich eher in Grenzen. Man muss nicht immer wieder schauen, wie es dem Baby geht und sich immer wieder drum kümmern. Lediglich, wenn es zu schreien anfängt, sollte man es wieder beruhigen, da sonst der Stresslevel so weit steigt, dass BB sich komplett zurück zieht und nicht mehr funktionsfähig ist. Die Folge: Man kann die GDs nicht mehr lokalisieren.
Neben den GDs gibt es als Gegner auch die MULEs. Menschen, die es sich auf die Fahne geschrieben haben, herum streifenden Boten die Fracht abzunehmen und selbst zu behalten. Manchmal zu Fuß, manchmal mit Truck kommen sie daher und wenn sie den Spieler lokalisiert haben, kriegt man in der Regel kaum einen einzelnen vor die Faust, sondern eine ganze Gruppe. Und dann wird's knifflig, da man keine Möglichkeit hat, sie im Nahkampf schnell auszuschalten, sofern man keine entsprechende Waffe zur Hand hat. Erwischen sie einen und bewegt man sich zu weit von der eigenen Fracht weg, kann es durchaus vorkommen, dass man so seine Fracht verliert. Die MULEs besitzen übrigens ebenfalls einen Sensor, mit dem sie den Spieler orten können. Ist das geschehen, kann man entweder in den Nahkampf übergehen und die Jungs k.o. hauen, oder aber man flüchtet von der letzten den MULEs bekannten Position und versteckt sich so gut es geht. Auch hinterrücks k.o. hauen ist möglich. Allerdings stellen die MULEs früher oder später die größere Bedrohung im Vergleich zu den eigentlich sehr gefährlich präsentierten GDs dar.
GDs und MULEs als Gegner. Aber was ist mit der Spielwelt? Die gibt sich, wenn auch wunderschön anzusehen, mindestens ebenso tückisch, wie besagte Feinde. Die Spielwelt ist übrigens keine durchgängige Open World, sondern in einzelne große Gebiete eingeteilt. Sehr große Gebiete. Zum Glück bekommt man relativ früh das erste Fahrzeug zur Hand, mit dem sich Wege wesentlich flotter bestreiten lassen...nur nicht einfacher. Nicht selten passiert es, dass man besser zu Fuß gehen sollte, da man manche Bereiche mit dem Fahrzeug gar nicht oder nur schwer überqueren kann. Das bedeutet auch, dass man tunlichst darauf achten sollte, was man sich an Fracht und Material mitnimmt.
Einsam und verlassen kommt Amerika daher...und sieht übrigens merkwürdigerweise aus, wie Island...bietet aber jede Menge Hindernisse. Berge, steile Hänge, unwegsames Gelände (das man mit dem Fahrzeug nur extrem schwer befahren kann) oder Gewässer. Alles in der Spielwelt stellt ein potentielles Hindernis dar, das es zu bewältigen gilt. Für den Spieler heißt dies: Er muss sich mit der Welt vertraut machen. Manchmal scheint ein Weg einfach und leicht zu bewältigen, nur um dann festzustellen, dass er doch mit größeren Hindernissen gespickt ist, als man dachte. Kenntnisse über die verschiedensten Gebiete und Wege sind dringend nötig, um die Fracht unfallfrei und schnellstmöglich zum Ziel zu bringen. Die Karte mag zwar einen groben (und damit hilfreichen) Überblick geben, aber die Gemeinheiten, die einem die Spielwelt entgegen wirft, muss man selbst kennenlernen.
Ganz besonders vorsichtig sollte man dem Zeitregen gegenüber stehen. Ein Regen, der mal eben die Zeit vorspult und alles altern lässt, von Mensch bis Maschine. Dadurch erleidet die Fracht ebenso Stück für Stück Schaden, wie Fahrzeuge oder errichtete Gebäude und Brücken. Fairerweise muss man aber nicht andauernd aufpassen, dass nichts kaputt geht. Selbst nach zig Stunden im Regen ist alles noch so weit in Ordnung. Dennoch sollte man aufpassen, da andere Hindernisse zusätzlich für Schaden an der Fracht und an Fahrzeugen sorgen können.
Um all diese Hindernisse zu überwinden, gibt das Spiel dem Spieler nach und nach allerhand Möglichkeiten an die Hand. Angefangen von Kletterausrüstung, über Leitern, bis hin zur Möglichkeit, später Brücken und sogar Straßen zu bauen, um sich die Wege zu erleichtern. Dazu kommen Trucks und Motorräder als Fahrzeuge und Mittel, um die eigene Belastung zu verringern und das Gewicht, das getragen werden kann, zu erhöhen.
Der Online-Modus
Der Online-Modus des Spiels ist herrlich innovativ und essenzieller Bestandteil des Spiels. Statt auf Wettkampf zu basieren, basiert er darauf, einander zu helfen. Dies geschieht, indem die Spieler gemeinsam Straßen durch gesammelte Materialien bauen, Brücken bauen, Items in Gemeimschaftskästen da lassen oder Aufträge für andere Spieler erledigen. Die Möglichkeiten sind äußerst vielfältig und vor allem nützlich. So wird auch die eigene Welt Stück für Stück neu aufgebaut.
Die Spieler bauen Amerika gemeinsam wieder auf und helfen einander. Sehr schön!
Leider ist es aber auch möglich, Schilder aufzustellen. Warum "leider"? Zwar sind die oft äußerst hilfreich, da Spieler so vor besonders gefährlichen Gegenden warnen, aber manche Schilder sind selbst für Kojima-Verhältnisse zu albern und wirken völlig fehl am Platz. Dadurch leidet die ansonsten herrlich Atmosphäre des Spiels massiv. Weniger wäre mehr gewesen.
Trotzdem ist der Multiplayer hervorragend und ich nutze ihn sehr gerne. Bleibt nur die Frage, wie er sich entwickelt und was das Entwicklerteam tun wird, wenn die meisten das Spiel durch haben und/oder nicht mehr spielen. Der MP wird früher oder später verwaist sein. Das ist so sicher wie das Amen in der Kirche.
Letztlich...
...bleibt zu sagen, dass Death Stranding ein sehr gutes Spiel ist. Es macht überraschend viel Spaß, die beste Route zu finden, den GDs und MULEs auszuweichen und die Geschichte zu verfolgen. Es macht Spaß, anderen Spielern zu helfen und gemeinsam Bauten zu errichten. Seltsame Charaktere, kleine Albernheiten und Norman Reedus geben sich hier die Hand und ergeben einen herrlich abgedrehten, aber auch ernsthaften und zutiefst philosophischen Mix. Die Action ist sehr rar gesäht und das Spiel geht einen erfrischend ruhigen, entspannten Weg. Und obwohl das Kerngameplay sehr banal ist, besticht das Spiel doch durch einen gewissen Anspruch und überraschender Abwechslung.
Die Grafik ist extrem geil und wenn auf den Reisen durch die schicken Landschaften die ruhigen Klänge der Songs von Low Roar und anderen ertönen, will man sich am liebsten einfach nur hinsetzen (oder einfach nur rum fahren) und dieses audiovisuelle Meisterwerk auf sich wirken lassen. Spätestens hier kann man Death Stranding den Kunststatus guten Gewissens anerkennen.
Death Stranding ist innovativ und speziell. Es bewegt sich quasi völlig abseits des Mainstream-Einheitsbrei. Und es verlangt Geduld vom Spieler. Aber genau deswegen ist es nicht jedermanns Sache. Das kann ich gut verstehen.In dem, was es sein will und dem Spieler bietet, ist Death Stranding ein Meisterwerk und hervorragend. Und ich finde, dass man dem Spiel unrecht tut, wenn man es nur anhand von Let's Plays beurteilt. Aber trotzdem will ich hier keine Kaufempfehlung aussprechen.
Dennoch: Ja, ich feiere Death Stranding wie kaum ein anderes Spiel der letzten Jahre, trotz genannter Mängel, die sich aber (hoffentlich) durch Patches ausbügeln lassen dürften.